Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Passagier nach Frankfurt

Passagier nach Frankfurt

Titel: Passagier nach Frankfurt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
angedeutet. Jetzt erinnerte er sich auch an sein Aussehen. Die hohe Stirn, die melancholischen dunklen Augen, der volle Mund und die eindrucksvollen weißen Zähne – falsche Zähne, wahrscheinlich, jedenfalls aber Zähne, von denen man wie bei Rotkäppchen sagen konnte: «Damit ich dich besser fressen kann.»
    Er wusste auch, wofür Mr. Robinson stand. Ein einfaches Wort genügte. Mr. Robinson repräsentierte Geld, Kapital – mit einem sehr großen K. Kapital in jeder Hinsicht, internationales Kapital, weltweites Kapital, Haus-Finanzierungen, Bankgewerbe. Geld nicht in der Weise, wie der Normalbürger es betrachtete. Man dachte nicht an ihn als einen reichen Mann; zweifellos war er ein sehr reicher Mann, aber das war nicht das Ausschlaggebende. Er war einer der Kapital-Jongleure, einer aus dem Clan der Groß-Bankiers. Seine persönlichen Bedürfnisse waren vielleicht sogar bescheiden, doch Sir Stafford Nye bezweifelte das.
    Ein hohes Maß an Komfort, ja Luxus entsprach wohl eher Mr. Robinsons Lebensstil. Aber nicht mehr als das. Also steckte hinter seinen mysteriösen Geschäften die Macht des Geldes.
    «Ich habe gerade von Ihnen gehört, vor ein oder zwei Tagen», sagte Mr. Robinson, als er seine Hand schüttelte, «von unserem Freund Pikeaway.»
    Das passt, dachte Sir Stafford Nye. Er erinnerte sich jetzt, dass bei dem einzigen Anlass, bei dem er Mr. Robinson begegnet war, auch Mr. Pikeaway anwesend war. Er erinnerte sich, dass Horsham von Robinson gesprochen hatte. So waren da nun Mary Ann (oder Gräfin Zerkowski?), Oberst Pikeaway in seinem rauchgeschwängerten Zimmer mit halb geschlossenen Augen, entweder gerade beim Einschlafen oder beim Aufwachen, und da war Mr. Robinson mit seinem großen, gelben Gesicht. Also ging es irgendwie um Geld. Sein Blick glitt zu den übrigen drei Personen im Raum. Er wollte sehen, ob er erraten könne, wer sie waren und was sie repräsentierten.
    In zwei Fällen brauchte er nicht einmal zu raten. 3er Mann in dem hohen Porter-Sessel am Kamin, eine ältliche Gestalt, eingerahmt von dem Stuhl wie von einen Bilderrahmen, war früher in ganz England bekannt. Es war es immer noch, obwohl es in diesen Tagen nur selten zu sehen war. Ein kranker Mann, ein Invalide, der nur sehr kurze Auftritte hatte und die, so hörte man, nur unter großen körperlichen Beschwerden. Lord Altamount. Er hatte ein schmales, ausgemergeltes Gesicht mit hervorstechender Nase, grauem Haar, das nur wenig von der Stirn zurückwich und dann in einer dichten grauen Mähne nach hinten wallte; mit übergroßen Ohren, seinerzeit markant für die Karikaturisten, und einem tiefen durchdringenden Blick, eher forschend als beobachtend. Dieser Blick sondierte eingehend, was in sein Blickfeld geriet. Im Augenblick sah er Sir Stafford Nye an. Er streckte die Hand aus, als Stafford Nye auf ihn zutrat.
    «Ich stehe nicht auf», sagte Lord Altamount. Seine Stimme war schwach, eine Altmännerstimme, weit weg. «Mein Rücken lässt das nicht zu. Sie sind gerade aus Malaysia zurückgekommen, Stafford Nye, nicht wahr?»
    «Ja.»
    «Hat es sich überhaupt gelohnt, dort hinzufahren? Ich nehme an, Sie denken eher nicht. Immerhin, wir brauchen diese gelegentlich ausufernden Veranstaltungen als notwendige ornamentale Garnierung für die feinere Art diplomatischer Lügen. Ich freue mich, dass Sie heute Abend kommen konnten oder hergebracht wurden. Von Mary Ann, nicht wahr?»
    «So nennt er sie also, und dafür hält er sie», dachte Stafford Nye. So hatte Horsham sie genannt. Sie gehörte also zu ihrem Verein, ohne Zweifel. Was Altamount betraf, so stand er für – wofür stand er eigentlich heute? Stafford Nye dachte sich, er stehe für England. Er stand immer noch für England, bis er in Westminster Abbey begraben wurde oder in einem Mausoleum auf dem Lande, was immer ihm gefiel. Er war England und kannte die Bedeutung jedes einzelnen Politikers und Regierungsbeamten in England ziemlich genau, selbst wenn er nie mit ihnen gesprochen hatte.
    Lord Altamount sagte:
    «Dies ist unser Kollege Sir James Kleek.»
    Stafford Nye kannte Kleek nicht. Er hatte wohl auch noch nie von ihm gehört. Es war ein unruhiger, zappliger Typ. Mit scharfen, misstrauischen Augen, die nie lange irgendwo verweilten. Er hatte die verhaltene Anspannung eines Jagdhundes, der auf einen Befehl wartete. Bereit, auf einen Blick seines Herrn loszulegen. Aber wer war sein Herr? Altamount oder Robinson? Staffords Blick richtete sich auf den vierten Mann. Er hatte sich

Weitere Kostenlose Bücher