Passwort: Henrietta
gelegentlich fand sie einen Namen, den sie kannte. Amaranta war verzeichnet, unter H entdeckte sie ihren eigenen Namen samt Handynummer. Sie konnte sich nicht erinnern, sie ihrem Vater mitgeteilt zu haben. Vielleicht hatte Amaranta sie ihm gegeben.
Gegen Ende des Alphabets traf sie auf einige Namen, bei denen es ihr kalt über den Rücken lief. Leon Ritch, Jonathan Spencer, Jude Tiernan. Harry starrte auf Judes Namen. Es gab keinen Grund, warum ihr Vater seine Nummer nicht haben sollte. Schließlich hatten sie beide im gleichen Unternehmen gearbeitet.
Nach Judes Namen kamen keine Einträge mehr. Sie klatschte das Notizbuch auf den Tisch. Dann griff sie sich die Karten. Es waren gewöhnliche Spielkarten, auf deren Rückseite ein Kaleidoskop von blauen und weißen Wirbeln aufgedruckt war. Sie fächerte die Karten auf und inspizierte bei jeder Karte jeweils die Vorder- und Rückseite. Die Karten waren abgegriffen und klebrig, ansonsten aber gaben sie nichts preis.
Sie trommelte mit den Fingern auf dem Tisch und kaute auf ihrer Unterlippe. Schließlich wandte sie sich der Kleidung ihres Vaters zu. Sie überprüfte die Hosentaschen, griff in die Schuhe und zog sogar einen Sockenballen auseinander. Nichts. Sie kam sich wie ein Eindringling vor, als sie den Blazer zur Hand nahm und über das Futter strich. Die Innentasche knisterte leise. Sie zog einen weißen Umschlag heraus. Darauf stand ihr Name, innen befand sich ein einziges Blatt Papier, mit dem heutigen Datum versehen.
Es war ein Brief von ihrem Vater. Er musste ihn nach ihrem Besuch geschrieben haben. Mit einem beklemmenden Gefühl fing sie an, ihn zu lesen.
Mi queridísima Harry,
es hat so gutgetan, dich nach so langer Zeit wiederzusehen. Durch dich ist alles wieder ins Lot gekommen. Du hast ja keine Vorstellung, wie stolz ich auf dich bin. Du bist zu einer so wunderbaren, intelligenten jungen Frau herangewachsen. Ich stehe bei deiner Mutter tief in der Schuld für die Kraft, die sie aufgebracht hat, um unsere Familie großzuziehen. Dieses Verdienst gebührt einzig und allein ihr.
Ich weiß, du bist heute gekommen, weil ich dir helfen soll, und ebenso weiß ich, dass ich dich enttäuscht habe. Aber gib mich nicht auf. Nicht um alles in der Welt will ich dich verletzen, und ich werde versuchen, dich nicht mehr fallenzulassen.
Aber sei vorsichtig, stell die Menschen nicht auf ein Podest, Harry. Ich liebe dich, aber ich bin nun mal der, der ich bin. Geh nicht zu harsch mit mir ins Gericht.
Tu papa que te quiere
Harry fuhr mit dem Daumen über seine letzten Worte.
Dein Papa, der dich liebt.
Das Bild seines wächsernen Gesichts trat ihr vor Augen. Sie schluckte. Dann faltete sie den Brief zusammen, schob ihn in den Umschlag zurück und dachte über seinen Ratschlag nach. Er hatte recht. In ihrer Kindheit hatte sie ihn zu ihrem Helden erhoben, und der Aufprall in der Wirklichkeit hatte ihr sehr zu schaffen gemacht. Sie fragte sich, ob sie dabei war, bei Dillon den gleichen Fehler zu begehen. Ihre Vernarrtheit in ihn als Teenagerin war nie ganz abgeklungen und jetzt zu etwas Neuem entfacht worden. Zu Liebe? Seufzend schob sie den Gedanken fort.
Sie starrte auf den vor ihr ausgebreiteten Inhalt der Reisetasche.
Komm schon, Dad, hilf mir weiter!
Sie klopfte mit dem Fingernagel gegen das Adressbuch. Namen und Zahlen. Sie dachte daran, wie ihr Vater sein Konto gemanagt hatte. Er hatte die Handelsanweisungen unter Angabe eines Codeworts direkt an die Bank gefaxt. Barabhebungen oder Überweisungen konnten nur persönlich vorgenommen werden, wobei sie durch ein Fax angekündigt werden mussten.
Versteckte sich das Codewort irgendwo unter den Einträgen im Adressbuch, und war die Kontonummer als falsche Telefonnummer kaschiert? Es kam ihr irgendwie unwahrscheinlich vor, war aber einen Versuch wert.
Die nächste Stunde verbrachte sie damit, auf ihrem Festnetztelefon, das ihre Rufnummer unterdrückte, jeden im Adressbuch aufgeführten Eintrag anzurufen. Wenn sich jemand meldete, verlangte sie die aufgeführte Person zu sprechen und legte sofort auf, wenn jemand ranging. Sie kam sich zunächst dämlich vor, nach dem zwölften Anruf aber war sie dagegen gefeit. Telefonverkäufer konnten wahrscheinlich nur so überleben. Nach den vielen Anrufen vergaß man leicht, dass die Stimme am anderen Ende der Leitung wirklich zu einem Menschen gehörte.
Sie hakte die angerufenen Nummern ab. Bei manchen meldete sich die Mailbox, bei einigen ging niemand ran. Sie wählte sogar die
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