Passwort: Henrietta
Sicherheitsvorkehrungen der Bank waren, soweit sie es einschätzen konnte, nur von innen heraus zu überwinden. Aber wo fand sie einen Insider, der bereit war, dieses Risiko auf sich zu nehmen? Sie dachte an Raymond Pickford und schüttelte den Kopf. Er war gefügig, aber schwach und würde wahrscheinlich in letzter Sekunde wieder abspringen. Sie brauchte jemanden, der eine hohe Position einnahm, jemanden, dem sich niemand in den Weg stellen würde.
Jemanden wie Philippe Rousseau.
Er schien es weit gebracht zu haben seit seiner Tätigkeit als Kontenbetreuer ihres Vaters. Harry wusste nicht, was ein Vice President der International Client Relations den lieben langen Tag so trieb, doch es klang beeindruckend. So beeindruckend, dass er es sicherlich nicht gern sah, wenn ihm jemand seine Vergangenheit unter die Nase rieb. Sie erinnerte sich, was ihr Vater über ihn erzählt hatte – dass er seine Trades imitiert habe. Wie würde es aussehen, wenn sich ein Vice President der Bank an Insidergeschäften beteiligt hätte?
Sie umklammerte das Geländer und schloss die Augen. Beim Social Engineering mochte es nicht ganz ehrlich zugehen, aber sie konnte die Tätigkeit vor sich rechtfertigen. Erpressung andererseits war von ganz anderem kriminellen Kaliber, womit sie nichts zu tun haben wollte.
Sie drehte sich um, ging in ihr Zimmer und kehrte zu ihren Notizen auf dem Bett zurück. Sie brauchte Beweise für Rousseaus zwielichtige Trades. Wenn sie sie erst einmal hatte, konnte sie ihn zu allem überreden. Abermals starrte sie auf das Telefon. Hier hatte sie also ihre Herausforderung: irgendwie an die Aufzeichnungen von Philippe Rousseaus Aktiengeschäften zu kommen.
Erneut vertiefte sie sich in ihre Notizen, diesmal unter veränderten Gesichtspunkten. Dann griff sie zu ihrem Stift und skizzierte einige Ideen.
Zehn Minuten später tätigte sie ihren ersten Anruf. Er wurde sofort angenommen.
»Guten Tag, Rosenstock Bank and Trust, Kundensupport, Webster, wie kann ich Ihnen helfen?«
Webster ließ sich viel Zeit mit dem rituellen Begrüßungsspruch und schien den gelassenen Rhythmus seiner eigenen Stimme ganz offensichtlich zu genießen.
»Hallo, hier ist Catalina Diego.« Harry sprach mit amerikanischem Einschlag, um ihren eigenen Akzent zu übertönen und weniger Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass die Mischung aus ihrem irischen Akzent mit dem des Mittleren Westens der USA einen leicht kanadischen Tonfall ergab.
»Ich bin von Ihrem Dell-Lieferanten hier in Nassau«, fuhr sie fort. »Wir führen eine Umfrage durch zur Verbesserung unserer Dienstleistungen. Wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben, würde ich Ihnen gern einige Fragen stellen.«
»Klar, kein Problem.«
»Wunderbar, ich danke Ihnen.« Harry lächelte. Social Engineering war auf die Kooperation des Gegenübers angewiesen, weshalb Angestellte im Kundensupport so gute Kandidaten abgaben. Schließlich wurden sie beschäftigt, um Auskünfte zu erteilen.
»Okay, Webster, also, wie viele Angestellte arbeiten ungefähr in Ihrem Bereich?«
Es dauerte etwas, bis seine Antwort kam. Wahrscheinlich zählte er die Köpfe in seinem Büro ab. »So an die fünfundzwanzig, sechsundzwanzig im Moment.«
»Und wie sind Ihre Arbeitszeiten?«
»Von sieben bis neun Uhr abends. Und das sieben Tage in der Woche.«
»Haben Sie schon einmal einen unserer Servicetechniker in Anspruch nehmen müssen?«
»Nein, ich persönlich jedenfalls nicht.«
Harry führte ihn durch eine Reihe unverfänglicher Fragen, bis sie sich so weit sicher fühlte, jene zu stellen, auf die es ihr ankam. »Hatten Sie jemals Probleme mit Ihrer Kundensupportsoftware auf unseren Rechnern?«, fragte sie.
»Nein, funktioniert alles prima. Manchmal läuft es ein wenig langsam, aber das ist alles.«
»Wirklich? Könnte am Arbeitsspeicher liegen. Welche Software haben Sie im Moment installiert?«
»Die nennt sich Customer Focus. Wir haben sie schon eine ganze Weile.«
»Die kenne ich.« Sie hatte noch nie davon gehört. »Die ist von Banking Solutions, oder?«
»Nein, von einer Firma, die sich Clear Systems nennt. Deren blau-rotes Logo ist überall.«
»Ach, die Firma.« Noch immer nicht den leisesten Schimmer. »Ich habe gehört, deren Bericht-Tools sind nicht die besten. Wir könnten ein High-Performance-Paket anbieten, falls Sie das brauchen.«
»Ach, die Berichte scheinen mir okay zu sein. Ich lass am Ende des Tages immer nur ein paar TTB s laufen und habe damit
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