Passwort: Henrietta
seine Tasche und zog ebenfalls einen Umschlag heraus. »Hier.«
Er sah zu, wie Quinney das Geld zählte. Mit seinem kahlen Schädel und den dicken Lippen sah der Typ aus wie ein Troll. Er war gut in seinem Job, nur seine Gegenwart war schwer auszuhalten. Es war das zweite Mal, dass Leon ihn angeheuert hatte. Beim ersten Mal, fünf Jahre zuvor, hatte Maura die Scheidung eingereicht. Sie hatte geschworen, es gäbe keinen anderen, Leon allerdings hatte ihr nicht geglaubt. Und Quinney hatte es mit einem Packen Hochglanzfotos bewiesen. Er hatte sie in flagranti mit einem großen blonden Mann ertappt. Demselben, der vergangene Woche seinem Sohn durchs Haar gestrichen hatte.
Quinney war mit dem Zählen fertig und stopfte sich die Scheine in die Tasche. Dann warf er Leon seinen weißen Umschlag auf den Schoß. »Wie ich schon am Telefon gesagt habe, vom Geld keine Spur. Sie hätten mich ihr im Flieger folgen lassen sollen.«
Leon grunzte. Das Honorar war auch ohne die verdammten Reisespesen exorbitant hoch. Er mahlte mit dem Kiefer. Scheiße, das Geld schien ferner als je zuvor.
Quinney stand auf, sein Sessel knallte gegen die Rückenlehne. »Diese Typen sind hinter ihr her, das steht jedenfalls fest. Sie verfolgen sie schon die ganze Woche. Die Namen stehen im Bericht.« Er wies mit einem Nicken auf den Umschlag. »Einige der Fotos dürften Sie interessieren.«
Er schob sich die Reihe entlang zum Ausgang. Leon sah ihm hinterher und begann zu schwitzen. Quinney hatte ihm erzählt, was er am Arbour Hill gesehen hatte, vom Geländewagen, der direkt vor den Gefängnistoren Sal Martinez auf die Hörner genommen hatte. Allein bei dem Gedanken, sich die Fotos anzusehen, wurde ihm schlecht.
Plötzlich gingen im Kino flackernd die Lichter an. Leon blinzelte. Er hatte vom Film kaum etwas mitbekommen, er wusste nur, dass es irgend so eine fröhliche Komödie über eine Familie mit zu vielen Kindern war. Er schloss die Augen. Er musste er an seinen Sohn denken. Die letzten Tage war er jeden Morgen zur Blackrock Station zurückgekehrt und hatte gehofft, Richard wiederzusehen. Er hatte sich sogar hergerichtet und seinen Anzug in die Reinigung gegeben. Doch bislang hatte er ihn nicht wiedergetroffen.
Glückliche Familien, meine Fresse, dachte er sich.
Er schlug die Augen auf und befingerte den Umschlag. Dann riss er ihn auf und zog etwa ein Dutzend getippte Seiten sowie einen Stoß Fotos heraus. Quinney war nahezu die ganze Woche Harry Martinez gefolgt und hatte die Personen überprüft, die in ihrem Leben eine Rolle spielten. Leon blätterte durch den Bericht. Er enthielt Biographien von allen wichtigen Beteiligten. Er versuchte sie zu lesen, aber sein Blick schweifte ständig zu den Fotos. Schließlich legte er den Bericht zur Seite und betrachtete die erste Aufnahme. Seine Hände zitterten.
Das Foto war nachts aufgenommen worden und zeigte das Martinez-Mädchen, wie es in einen schicken blauen Mini stieg. In der Straße standen viktorianische Backsteinhäuser und hohe Bäume. Auf der anderen Straßenseite erkannte er bei näherem Hinsehen die dunkle, kantige Silhouette eines Geländewagens. Er schluckte und sah auf der Rückseite nach. Quinney hatte mit blauem Kugelschreiber ihren Namen, Datum und Ort notiert. Raglan Road, Sonntag, 12. April, 20:30 Uhr. Vor drei Tagen.
Das nächste Foto zeigte einen großen, dunkelhaarigen Mann, der die junge Frau die Stufen zu einem der Backsteinbauten hinaufbegleitete. Über ihr Gesicht zog sich an einer Seite eine Schramme, die Wangen waren schlammverschmiert. Vom Geländewagen war diesmal nichts zu sehen. Leon ging zum nächsten Schnappschuss, wollte schon zusammenzucken, aber es war eine harmlose Aufnahme von jemandem, den er kannte: dieser blasierte Pedant Jude Tiernan, der gerade aus dem KWC -Gebäude kam. Leon war vor Jahren mit Tiernan zusammengerauscht, als sie beide noch für JX Warner gearbeitet hatte. Bei der Erinnerung presste er die Lippen zusammen. Wäre nicht der scheinheilige Tiernan gewesen, wäre Leon wahrscheinlich nie gefeuert worden.
Er gab das Foto nach hinten in den Stapel und überflog ein paar weitere. Er entspannte sich. Aufnahmen von der Familie: ihre Schwester, die das Vincent’s Hospital verließ. Er verweilte ein wenig länger bei einer Frau Ende fünfzig. Das also war Sals Frau. Ihren Wangenknochen zufolge hätte sie polnischer oder russischer Abstammung sein können. Sah Sal ähnlich, dass er sich was Exotisches aussuchte. Stirnrunzelnd allerdings
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