Passwort: Henrietta
spähte unter den Fahrzeugen hindurch. Jemand in Turnschuhen kroch parallel zu ihr zwischen den Autos hindurch. Er war nur zwei Reihen entfernt.
Harry hielt sich so tief wie möglich und hastete zur letzten Reihe. Alle paar Meter sah sie zu den Turnschuhen. Sie folgten ihr immer noch. Sie rannte zum Micra und ließ schließlich die Tasche und den Koffer los. Hektisch, mit steifen, zitternden Fingern suchte sie nach den Wagenschlüsseln, steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Sie erhob sich leicht, hielt den Kopf jedoch tief. Ihre Knie knackten wie Brennholz. Sie zog am Türgriff und lauschte auf Schritte. Nichts.
Langsam öffnete sie die Tür, zuckte zusammen und wartete, dass sie knarrte. In der Türscheibe sah sie ihr eigenes Spiegelbild. Zerzaustes Haar, kreidebleiches Gesicht vor einem dunklen Hintergrund. Dann veränderte sich der Hintergrund. Harry riss die Augen auf. Ein anderes Spiegelbild war hinter ihr aufgetaucht. Aschfahles Gesicht, schwarze Mütze, Albino-Haarsträhnen.
Er packte sie, bevor sie sich umdrehen konnte, riss sie an den Haaren hoch und knallte sie mit dem Gesicht gegen die Autotür. In ihrem Kopf dröhnte es. Sie konnte die Augen nicht öffnen. Er presste sie mit seinem harten, muskulösen und strengriechenden Körper gegen den Wagen. Sie schlug nach hinten aus, traf aber nichts. Wieder packte er ihren Kopf, diesmal mit beiden Händen, und ließ ihn gegen das Autodach krachen. Schmerzen zuckten ihr durch den Schädel, ihre Beine brachen weg, und sie sackte gegen den Micra. Alles drehte sich.
Er hievte sie hoch und drehte ihr die Arme auf den Rücken. Kalter Stahl glitt über ihre Handgelenke, sie hörte etwas klicken, dann einrasten. Der Stahl schnitt ihr in die Haut. Er zog ihr einen rauhen Stoff über den Kopf, worauf alles schwarz wurde. Ein Sack, grob und kratzig. Sie hörte, wie die Wagentür aufging. Dann schob er sie rein. Sie fiel über den Rücksitz und versuchte sich aufzurichten, aber Schwindel und Übelkeit ließen sie auf dem Boden kauern. Ihre Schultern waren zwischen den Sitzen eingeklemmt, die Arme taten ihr höllisch weh.
Etwas Schweres krachte auf den Sitz neben ihr. Ihr Gepäck.
Die Wagentüren wurden zugeknallt. Dann ging stotternd der Motor an, der Micra setzte sich in Bewegung, heftige Schmerzen fuhren ihr in die Arme. Sie glaubte, sie schwebe. Bilder von Jude Tiernan liefen wie bei einer Diashow vor ihren Augen ab: Jude beim KWC –Meeting, wo er nichts verloren hatte; Jude in der White’s Bar, wo er so getan hatte, als würde er ihr helfen, um an Felix heranzukommen; Jude am Flughafen, wo er die tödlichen Anweisungen in sein Handy gesprochen hatte.
Ihre Gedanken trieben davon. Sie hätte ihm nie trauen dürfen.
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51
K euchend wachte Harry auf. Ihr Hals war rauh, die Nasenlöcher fühlten sich an, als würden sie brennen. Sie konnte nichts sehen. Etwas Nasses, Schweres haftete auf ihrem Gesicht. Sie atmete durch die Nase. Dämpfe waberten durch ihre Stirnhöhlen und ließen alles verschwimmen. Der Geruch war erstickend und erinnerte sie an Feueranzünder. Dann verstand sie. Mein Gott! Der Sack über ihrem Kopf war mit Benzin getränkt.
Sie versuchte erneut einzuatmen, aber unter den ätzenden Dämpfen musste sie würgen. Schmerzen brannten ihr im Hals und in den Schultern. Sie lag auf der Seite, die Arme noch immer auf dem Rücken gefesselt. Nach dem harten Boden zu schließen, befand sie sich nicht mehr im Wagen. Sie verdrehte den Kopf, um den Sack loszuwerden. Ein schmaler Spalt öffnete sich an ihrer Unterlippe und ließ ein wenig frische Luft herein. Sie sog sie auf und versuchte, nicht zu hyperventilieren.
Irgendwo von vorn kam ein scharrendes Geräusch. Dann Stille.
»Wer ist da?«, fragte Harry.
Sie hasste den jämmerlichen Tonfall ihrer Stimme. Keine Antwort. Sie hatte Angst, sich zu bewegen, damit der Sack nicht über ihren Mund rutschte. Dann hörte sie es wieder, dieses raspelnde Geräusch, gefolgt von einem leisen Zischen. Sie versteifte sich am ganzen Körper. Großer Gott. Er entzündete Streichhölzer.
Harry strich sich über die Lippen. Das beißende Benzin brannte auf der Zunge. »Was geht hier vor sich?«
»Wir warten.« Eine Reibeisenstimme. Er war ganz in der Nähe.
Sie räusperte sich und wollte nicht bedrohlich wirken. Was nicht schwer war. »Können Sie mir nicht wenigstens die Kapuze abnehmen?«
»Nicht, solange er nicht hier ist.«
»Wie lang wird das dauern?«
»Nicht lang. Er ist uns vom
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