Passwort: Henrietta
voll mit Menschen. Mit gesenktem Blick, noch immer im Schutz ihrer Eskorte, schob sie sich durch die Menge. Niemand achtete auf sie. Schließlich erreichte sie den Hauptausgang und löste sich von ihrem Konvoi. Beim Zahlautomaten für den Flughafenparkplatz blieb sie stehen und warf mit zitternder Hand Münzen in die Maschine. Als sie sich über die Schulter umblickte, erstarrte sie.
Von der Menge umschlossen, etwa hundert Meter von ihr entfernt, stand ein großer Mann in schwarzer Lederjacke. Er hatte ihr den Rücken zugekehrt und ein Handy ans Ohr gedrückt. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber das strohblonde, unter der Mütze hervorragende Haar war unverkennbar.
Ihr wurde am ganzen Körper heiß. Zweimal hatte sie dieses Haar bereits gesehen: einmal in den Dublin Mountains und einmal vor dem Arbour-Hill-Gefängnis. Bei beiden Malen wäre sie fast umgebracht worden.
Der blonde Mann ließ seinen Blick über die Menge schweifen. Sie erhaschte sein Gesicht. Er war angespannt und blass, sein Gesichtsausdruck wirkte gehetzt. Harry blieb die Luft weg. Er lauschte jemandem am Telefon und nickte. Harry schob sich mit ihrem Koffer und den Taschen zum Ausgang. Der Mann zuckte bei dem, was er hörte, sichtlich zusammen, dann nickte er wieder. Er drehte sich um und kämpfte sich durch die Menge, weg von ihr in Richtung des Ankunftsbereichs.
Alles in ihr schrie danach zu laufen, aber sie widerstand. Langsame Bewegungen, und sie würde unsichtbar bleiben. Sie näherte sich den Türen, den Blick noch immer auf den sich entfernenden Rücken des Mannes gerichtet. Er kam im Menschengewühl nur langsam voran. Das Handy klebte nach wie vor an seinem Ohr.
Die automatischen Türen gingen auf. Sie trat darauf zu und sah abermals über die Schulter. Eine weitere Gestalt auf der anderen Seite der Halle fiel ihr ins Auge. Er drehte sich um die eigene Achse und beobachtete die Umgebung. An seinem Ohr ebenfalls ein Handy. Harry zuckte zusammen. Sie kannte diese Gestalt. Die breiten Schultern, die Statur. Jude Tiernan.
Jude verharrte. Mit verkniffenem Mund starrte er zu dem Mann mit dem blonden Haar. Dann schweifte sein Blick zu Harry. Es lief ihr eiskalt über den Rücken. Sein Blick verharrte auf ihr, dann sah er zurück zu dem Blonden und sprach in sein Handy. Der andere fuhr herum und starrte direkt zu Harry. Seine blassen Augen schienen sie förmlich zu verschlingen. Harry drehte sich um und stürzte durch die Türen.
Sie raste über die Straße zu dem mehrgeschossigen Parkdeck, hinter ihr klapperten die Kofferrollen. Im Zickzack schlängelte sie sich zwischen den abgestellten Wagen hindurch, die Taschen zerrten an ihren Armen. Wenn sie nur ihren Wagen erreichte. Sie ließ den Blick über die Autos schweifen, aber von einem roten Micra war nichts zu sehen.
Ihr Herz pochte. Sie wandte sich nach rechts und kämpfte sich die Rampe zum nächsten Stockwerk hinauf. Dröhnend wurden ihre Schritte vom Beton und der niedrigen Decke zurückgeworfen. Kurz sah sie hinter sich. Der Blonde sprintete auf die Rampe zu.
Wo zum Teufel war ihr Wagen? Sie fuhr herum, das Gewicht des Koffers renkte ihr fast den Arm aus. Vielleicht sollte sie ihn einfach abstellen. Aber was war dann mit dem Geld? Sie brauchte es noch. Falls sie jemals hier rauskam.
Hinter ihr hallten Schritte. Harry eilte zur nächsten Rampe und keuchte hinauf. Ein Mercedes jagte die Rampe herunter und kam quietschend nur wenige Zentimeter vor ihr zum Halt. Sie quetschte sich an ihm vorbei und rannte zum nächsten Stock.
Sie rief sich ins Gedächtnis, wo sie zwei Tage zuvor den Wagen abgestellt hatte: immer weiter die spiralförmigen Rampen hinauf, bis sie blinzelnd im Tageslicht nach einem Platz gesucht hatte. Tageslicht. Das war es. Sie hatte auf dem Dach geparkt.
Die Schritte hinter ihr wurden lauter, schneller. Harry spannte die Muskeln an und lief die letzten beiden Rampen hinauf. Ihre Beine wurden schwer, ihr Gepäck folterte ihre Arme. Endlich blendete Tageslicht ihre Augen. Von den geparkten Autos abgesehen, hielt sich niemand auf dem Dach auf. Nebel und Wolken tauchten alles in einen grauen Schleier. Ihr Nissan Micra war ein roter Fleck ganz hinten in der letzten Reihe.
Harry duckte sich, hastete gebückt durch die Fahrzeugreihen und zog das Gepäck hinter sich her. Ihre Finger und Handgelenke waren steif. Neben ihr waren stampfende Schritte zu hören, dann verstummten sie. Harry erstarrte. Sie duckte sich noch mehr und lauschte, legte das Gesicht auf den Boden und
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