Passwort: Henrietta
du dir dabei mächtig vorkommst?«
Sie musste daran denken, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten, wenn sie kurz davor war, ein System zu knacken. Sie musste an das Hochgefühl denken, das wie eine Droge in ihre Blutbahn gepumpt wurde, wenn sie die letzte Tür zu einem fremden Netzwerk aufschloss. Er hatte recht. Beim Hacken fühlte sie sich so mächtig wie sonst nirgends in ihrem Leben. Doch da war noch etwas.
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist ein Teil davon, glaub ich. Aber meistens trau ich den Leuten einfach nicht, die behaupten, ich könnte nicht in ihr System einbrechen. Nur weil es in der Betriebsanleitung so steht, heißt es noch lange nicht, dass es auch stimmt.« Sie rieb sich die Nase, als müsste sie erst ihre Gedanken entwirren. »Ich weiß einfach, es gibt immer einen Weg hinein, ich muss nur lang genug herumprobieren.«
»Dann geht’s also um die Technik? Du willst herausfinden, wie alles funktioniert?«
»Ja, irgendwie. Es ist … ich weiß nicht.« Sie sah ihm in die Augen. »Es ist, als würde man die Wahrheit finden.«
Dillons Augen funkelten, während er völlig reglos vor ihr saß. »Genau darum geht es beim Hacken. Um die Suche nach Wahrheit.«
Dann beugte er sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und verschränkte die Hände. Sein Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt.
»Die Leute glauben, beim Hacken geht’s ums Zerstören, aber nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt. Es geht darum, die Technologie zu erkunden, sie an die Grenzen zu führen und Wissen auszutauschen. Ein wahrer Hacker erweitert seinen Horizont, er geht über das hinaus, was in den Büchern steht oder ihm beigebracht wird. Er findet einen Weg, um Dinge zu tun, bei denen das konventionelle Denken versagt.« Er sah ihr in die Augen. »Das Hacken ist gut. Es sind die Menschen, die schlecht sind.«
Er umfasste ihre Hände. Die Berührung traf sie wie ein Blitz und ging ihr durch und durch.
»Betrachte das Hacken als eine Art Geisteshaltung«, sagte er. »Wir hacken nicht nur Computer, wir hacken unser gesamtes Leben.« Er drückte ihre Hände, unterstrich damit seine Worte, und seine Augen brannten sich in ihre. »Lass dich durch das, was andere Leute dir erzählen, niemals einschränken. Akzeptier es niemals, wenn sie dir sagen, wie die Dinge zu sein haben.«
Harry hörte gebannt zu. Einschränken. Damit beschrieb er genau, wie sie sich jeden Tag, jede Minute fühlte. Erdrückt von ihrer Mutter, die immer so enttäuscht von ihr war; abgestempelt in der Schule, wo sie den Erwartungen nicht entsprach. Plötzlich wurde ihr klar, dass er ihr erzählte, wie sie mit ihrem Leben umgehen konnte.
Unvermittelt ließ Dillon ihre Hände los und lehnte sich zurück, als wäre ihm sein plötzlicher Ausbruch an Leidenschaft peinlich. »Ende der Vorlesung. Danke für das Gespräch.« Er sprang auf und ging zur Tür. »Ich finde schon allein raus.«
Harry stand auf, ihr schwindelte von dieser abrupten Wendung der Dinge. »Einen Moment. Was passiert jetzt?«
Dillon zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich nichts. Ich werde deine Eltern darüber in Kenntnis setzen müssen, was du so treibst, aber niemand wird Anklage gegen ein dreizehnjähriges Mädchen erheben. Sollte es allerdings noch mal vorkommen, steckst du in ziemlichen Schwierigkeiten.«
Seine Hand lag auf dem Türknauf, seine Augen glänzten noch immer leicht fiebrig. »Eines Tages werde ich meine eigene Firma haben mit den besten Softwareingenieuren im Land.« Seine Lippen zuckten, und er zwinkerte ihr zu. »Wenn du es bis dahin schaffst, dich vom Gefängnis fernzuhalten, stelle ich dich vielleicht ein.«
[home]
12
C ameron stand außerhalb des schmiedeeisernen Tors. Die junge Frau war mittlerweile seit fast einer Stunde im Haus. Er drückte sich gegen die Gitterstäbe und verspürte das übermächtige Bedürfnis, das, was er angefangen hatte, auch zu Ende zu bringen.
Er bohrte die Fingernägel in die Handflächen. Am Bahnhof war es einfach nur beschissen gelaufen. Sie war so leicht gewesen wie ein Kind. Aber in dem Moment, in dem sie von ihm weggefallen war, hatte sich der Pendlermob vor ihn geschoben und ihm die Sicht verstellt. Er hatte die kreischenden Züge gehört, hatte sie vorbeirauschen sehen. Doch die Menge hatte ihn um das Vergnügen gebracht, ihre Angst miterleben zu dürfen.
Und ohnedem war er mit ihr noch nicht fertig.
Er spähte durch das Tor. Mit diesen verdammten Lichtern sah die Auffahrt wie eine Landebahn an. Er konnte
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