Passwort: Henrietta
ich hab ihr geglaubt. Monatelang bin ich mir zu Hause wie eine Außenseiterin vorgekommen. Meine Mutter war aus ganz eigenen Gründen sowieso immer sehr distanziert zu mir, was es nicht unbedingt besser gemacht hat. Schließlich hab ich meinem Vater mein Herz ausgeschüttet, und er hat für mich wieder alles ins Lot gebracht. Von da an war er für mich wohl so was wie ein Verbündeter.«
Dillon nippte an seinem Brandy. »Und das alles hat sich mit seiner Verhaftung geändert?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte schon lange davor genug von ihm. Wenn man immer wieder enttäuscht wird, hinterlässt das zwangsläufig seine Spuren. Als er dann ins Gefängnis musste, war das nur so eine Art Schlussstrich.« Lächelnd zuckte sie mit den Schultern. »Wir können uns unsere Eltern nicht aussuchen, oder?«
»Wahrscheinlich nicht. Obwohl man sagen könnte, dass zumindest meine Eltern mich ausgesucht haben.«
Harry war erstaunt.
»Ich wurde adoptiert«, erklärte er. »Meine Adoptiveltern konnten keine Kinder bekommen, also haben sie mich genommen, als ich noch ein Baby war. Als ich dann zwei war, wurde meine Mutter wie durch ein Wunder schwanger.«
»Sag mir jetzt nicht, dass du zugunsten des leiblichen Kindes nicht beachtet worden bist und du deswegen eine Menge Komplexe ausgebildet hast.«
Dillon zögerte. »Eine Weile lang, vielleicht. Aber ich weiß auf jeden Fall, wie es sich anfühlt, wenn man zu Hause der Außenseiter ist.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber dann haben sie versucht, es wiedergutzumachen, und alles überkompensiert. Ich hab alle Aufmerksamkeit abbekommen, und mein Bruder war derjenige, der Komplexe entwickelt hat. Am Ende war er völlig von der Spur. Drogen, Gefängnis, die ganze Chose.«
Sie schlürfte an ihrem Brandy und wusste nicht, was sie sagen sollte. »Dann haben wir also beide Familien mit einer dunklen Vergangenheit?«
»Sieht ganz danach aus.«
Harry deutete mit weitausholender Geste auf den Raum. »Na ja, es hat dir zumindest nicht geschadet. Sieh dir das Haus an. Es ist fantastisch.« Ihre Ohren fingen an zu summen; sie fragte sich, ob sie bereits ein wenig angeheitert war.
»Es ist nicht schlecht.« Dillon wirkte zufrieden mit sich.
Harry sah sich um. »Was dagegen, wenn ich frage, aber du scheinst dich doch meistens hier aufzuhalten?«
Sein Lächeln wurde ein wenig schwächer. »Nicht, wenn ich Gäste habe, was meistens der Fall ist. Und wenn nicht, kann ich die Welt aussperren. Hohe Mauern, elektronische Tore. Wenn man sich mit Geld eines kaufen kann, dann Privatsphäre.«
»Oder Isolation«, sagte Harry und wünschte sich sofort, sie hätte es nicht getan. Dillon runzelte die Stirn und erhob sich.
»Komm, du siehst erschöpft aus. Du brauchst Ruhe.«
Er nahm sie bei der Hand und half ihr auf die Beine. Kurz stand sie ihm gegenüber, nur Zentimeter von ihm entfernt, und spürte die Wärme seines Körpers. Dann wandte er sich ab, schlenderte zu den Terrassentüren an der anderen Seite des Zimmers und bedeutete ihr, ihm zu folgen. »Aber erst will ich dir was zeigen.«
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14
D as Erste, was Harry bemerkte, als sie ins Freie trat, war der durchdringende Eukalyptusgeruch. Er erinnerte sie an Weihnachten und machte augenblicklich ihren Kopf frei. Sie spähte in die Nacht und wartete, damit sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Dann erkannte sie es. Pechschwarz erhob sich mitten auf dem Rasen eine riesige Heckenwand, etwa drei Meter hoch und breiter als ein Fußballfeld.
»Mein Gott«, sagte Harry. »Ist das ein Labyrinth?«
In diesem Moment brach der Mond durch die Wolken, und sie sah das dichte Immergrün in Gestalt eines gewaltigen geschlossenen Rechtecks. Hier musste fast ein halber Hektar Hecke stehen.
»Beeindruckend, nicht wahr?«, sagte Dillon. »Die Vorbesitzer haben es vor ungefähr zwanzig Jahren angelegt. Ich musste es einfach haben. Komm, ich führ dich hinein.«
Er ging über den Rasen voraus, seine Turnschuhe gaben im trockenen Gras flüsternde Laute von sich. Harry folgte und blieb vor der roten dreieckigen Fahne stehen, die den Eingang zum Labyrinth markierte. Wie immer, wenn ihr Orientierungssinn herausgefordert wurde, spürte sie, wie sich ihr Gehirn in Matsch auflöste.
»Mir ist, als müsste ich erst eine Sechs würfeln, bevor ich anfangen darf.«
Dillon lachte. »Komm, bevor das Mondlicht weg ist. Ich möchte dir zeigen, was ich in der Mitte errichtet habe.«
Sie folgte ihm. Um sie herum standen nur noch hoch aufragende
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