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Passwort: Henrietta

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Titel: Passwort: Henrietta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ava McCarthy
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Hecken. Der grobe gewundene Lehmpfad war keinen Meter breit, weshalb sie hintereinander gehen mussten.
    Dillon bog scharf nach links ab, und Harry trottete ihm hinterher. Der Pfad führte daraufhin um einen engen Bogen, und plötzlich war Dillon verschwunden. Das Mondlicht trübte sich ein, Harry lief es kalt über den Rücken. Sie beschleunigte ihre Schritte.
    »Was machst du, wenn sich hier einer verirrt?«, rief sie ihm nach.
    »Wir lotsen ihn von der Aussichtsplattform aus wieder raus.« Er klang, als wäre er ganz in der Nähe, nur wenige Meter entfernt. »Damit kann man das ganze Labyrinth überblicken. Aber wenn du dich verirrst, dann halt dich einfach an die Linke-Hand-Regel.«
    »Die was?« Sie hielt sich strikt an den Hauptpfad und wollte sich keinesfalls von linken oder rechten Abzweigungen zu Richtungsänderungen verleiten lassen.
    »Leg die linke Hand an die Hecke und folge immer der Wand. Irgendwann kommst du raus.«
    Vom Mondlicht war nichts mehr zu sehen, die Hecken waren nur noch schwarze Wände. Harry streckte die Hände aus und tastete sich um die Windungen.
    »Keine Sorge, es sieht schlimmer aus, als es ist«, sagte Dillon. »Vieles beruht nur auf optischen Illusionen.«
    Harry stolperte. Optische Illusionen. Der Satz durchzuckte sie, das Bild ihres Kontoauszugs mit den zwölf Millionen Euro trat ihr vor Augen.
    »Was meinst du damit?«
    »Die Wege sind so angelegt, dass sie die Besucher in die falsche Richtung lenken. Ein psychologischer Trick.« Er klang, als wäre er drei bis fünf Meter entfernt, allerdings konnte sie nicht sagen, ob er links oder rechts von ihr war. »Zum Beispiel vermeiden die meisten Menschen solche Wege, die wieder in die Richtung zu führen scheinen, aus der man gerade kommt. Solche Sachen.«
    Konnte das alles irgendwas mit ihrem Kontoauszug zu tun haben? War der auch eine Art Trick? Sie schüttelte den Kopf. Irgendwas aber hatte sie dazu angeregt, diese Verbindung herzustellen, doch konnte sie beim besten Willen nicht sagen, warum.
    Hinter sich hörte sie schlurfende Schritte. Sie runzelte die Stirn. Hatte Dillon sie umkreist? Sie sah über die Schulter zurück, aber dort war nur dichte Hecke. Ihr Rücken kribbelte. Sie beeilte sich.
    »Du kennst die Geschichte von König Minos und dem Labyrinth?« Dillons Stimme wurde schwächer.
    »Welcher König?«
    »Eine alte griechische Legende. König Minos auf Kreta errichtete einen riesigen Irrgarten, der Labyrinth genannt wurde. Er diente als Gefängnis für den Minotaurus.«
    Hinter ihr drangen keuchende Atemzüge durch die Dunkelheit. Verzweifelt sah sie sich um und rannte im gleichen Augenblick gegen die Hecke. Wo zum Teufel steckte Dillon?
    »Was ist ein Minotaurus?«, rief sie. Der Anflug von Panik in ihrer Stimme gefiel ihr ganz und gar nicht.
    »Ein menschenfressendes Ungeheuer, halb Mensch, halb Stier.«
    Sie joggte durch den schmalen Gang. Die schlurfenden Geräusche hinter ihr wurden lauter, drängender, der Atem schwerer. Wieder fuhr sie herum und starrte in die Dunkelheit.
    »Dillon? Bist du das?«
    Schweigen. Über ihr gurrte eine Ringeltaube. Hatte sie sich alles nur eingebildet?
    »Harry?«
    Sie fuhr herum, als sie Dillons Stimme hörte, und versuchte, ihn zu lokalisieren. Irgendwo weit links von ihr.
    »Warte!« Sie eilte um eine Kurve. »Und rede weiter, damit ich dich finde.«
    »Alles in Ordnung?«
    »Red einfach weiter!« Sie begann zu laufen, ihr Herz pochte. »Erzähl vom Minotaurus.«
    »Gut. Also, der König hat den Minotaurus in der Mitte des Labyrinths eingesperrt, und jedes Jahr opferte er ihm sieben Knaben und sieben Jungfrauen.« Seine Stimme wurde wieder lauter, sie musste fast bei ihm sein. »Sie verirrten sich im Labyrinth, und irgendwann würde der Minotaurus sie fressen.«
    Hinter ihr wieder stampfende Schritte. Harry rang nach Atem. Sie bog um eine Ecke, ihr schwindelte. Abgehacktes Keuchen zerschnitt die Dunkelheit hinter ihr. Der Weg führte in eine Spirale mit so engen Windungen, dass sie nur einen Schritt vorausschauen konnte. Etwas Warmes, Feuchtes berührte sie an der Schulter. Sie schrie auf, schüttelte es ab und sprintete tiefer ins Labyrinth hinein.
    »Harry! Alles in Ordnung?« Dillon klang, als wäre er irgendwo vor ihr. »Bleib, wo du bist. Ich werde dich finden!«
    Dann stürzte Harry aus der Spirale heraus und stand vor einer Gabelung. Links oder rechts? Das Geräusch hinter ihr hörte sich wie von einem Tier an.
Menschenfressendes Ungeheuer, halb Mensch, halb Stier.
Sie

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