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Passwort: Henrietta

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Titel: Passwort: Henrietta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ava McCarthy
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verdrängte das Bild und rannte nach links. Noch eine Kurve.
    Sie wand sich durch den Gang, mit einer Hand immer an der Hecke. Die rauhen Zweige schnitten ihr in die Handflächen, brachen ab, und sie stolperte. Ihr verletztes Knie sackte unter ihr weg. Etwas brach hinter ihr grunzend durch die Hecke. Sie rappelte sich auf, in ihrem Kopf drehte sich alles.
    Sie konzentrierte sich auf die Hecke und versuchte, sich nicht in den spiralenförmigen Sog des Weges ziehen zu lassen, hielt sich an den Stämmen fest und zog sich um die Windungen. Plötzlich hörte die Spirale auf, torkelnd kam sie auf einen breiteren Weg, bog laufend um die nächste Kurve und krachte jemandem gegen die Brust. Sie schrie auf.
    »Harry!« Dillon packte sie an den Schultern.
    Ihr Herz pochte. Das Keuchen und die Geräusche waren näher als zuvor. Dann, plötzlich, war nichts mehr zu hören.
    »Was zum Teufel …« Dillon schob sich vor sie und machte einen Schritt hin zu dem Geräusch.
    Harry hielt ihn zurück. »Nein!«
    Wer wusste, was hinter diesen Hecken lauerte?
    Er sah sie an, sah wieder zum Labyrinth und zögerte. Dann ergriff er ihre Hand. »Hier entlang.«
    Er zog sich durch einen schmalen Gang und führte sie durch eine Reihe scheinbar willkürlicher Abzweigungen. Sie rannte hinter ihm her, während er sich im Zickzack durch das Labyrinth bewegte und niemals die Orientierung verlor. Zweige schrammten ihr über die Arme und das Gesicht, bis sie einen geraden Abschnitt erreichten und sich vor ihnen eine Öffnung auftat. Zusammen liefen sie hindurch; sie befanden sich an der Längsseite des Labyrinths.
    Dillon schleifte sie über den Rasen. Kurz sah sie zur riesigen Hecke zurück, die wie eine schwarze Festung über ihr aufragte, und bog dann mit ihm um die Ecke des Hauses, wo sein Lexus abgestellt war.

[home]
    15
      
    L eon drehte den Umschlag um und betrachtete ihn. Es war ein dünner weißer Umschlag, auf dem über dem Zellophanfenster, das seine Adresse enthielt, das Wort »Persönlich« aufgedruckt war. Die Art von Umschlag, die er gewöhnlich in die Ecke zu den anderen unbezahlten Rechnungen warf. Wäre hier nicht ein bedeutender Unterschied gewesen. Dieser Brief war an Harry Martinez adressiert.
    Er ließ sich auf seinem schäbigen Sofa nieder und klopfte mit dem Umschlag gegen die Hand. Die Vorhänge seines möblierten Zimmers waren zugezogen, obwohl es fast Mittag war, und in der Luft hing der Geruch von schmierigen Laken und den ranzigen Chips in der braunen Papiertüte.
    Wie zum Teufel war seine Adresse auf einen Brief gelangt, der für Harry Martinez bestimmt war?
    Er kratzte sich durchs T-Shirt an der Brust. Er müsste duschen, aber schon beim Gedanken an das widerwärtige Badezimmer auf der gegenüberliegenden Flurseite würgte es ihn. Er war nur aufgestanden, um seine Frau anzurufen. Danach hatte er eigentlich wieder ins Bett kriechen wollen. Aber dann war die Post gekommen.
    Leon schloss die Augen. Die enorme Summe, die er vergangene Nacht beim Pokern verloren hatte, lastete seit dem Aufwachen wie eine Tonne nasser Sand auf ihm. Als er das O’Dowd’s Pub verlassen hatte, war seine Brieftasche um achtzigtausend Euro leichter gewesen. Rechnete man seine übrigen Pokerschulden hinzu, belief sich seine Rechnung mittlerweile auf knapp eine Viertelmillion. Am schlimmsten aber war: Er wusste, dass er am Abend wieder das O’Dowd’s ansteuern würde.
    Blinzelnd betrachtete er den Brief in seiner Hand. Er fasste zu den ausgebleichten Vorhängen und zog sie einige Zentimeter zurück; die Ringe an der Vorhangstange rasselten wie Ketten. Ein Strahl Sonnenlicht blendete ihn, er hielt den Umschlag davor. Alles, was er erkennen konnte, waren gewellte blaue und weiße Linien, der Inhalt des Briefes selbst war nicht zu ergründen.
    Kein Zweifel, es steckte der Prophet dahinter. So operierte er. Unerklärliche Briefe, anonyme E-Mails. Wieder drehte Leon den Brief um. Er sollte ihn einfach öffnen. Er hatte ja nichts zu verlieren.
    Er legte den Brief auf den Beistelltisch und starrte darauf. Es gefiel ihm nicht, dass der Prophet wusste, wo er wohnte.
    Zehn Jahre zuvor, 1999, war er zum ersten Mal vom Propheten per Post kontaktiert worden. Damals war zu Hause in Killiney ein dicker brauner Umschlag eingetroffen, den ihm Maura zusammen mit einem Glas Champagner in sein Arbeitszimmer gebracht hatte.
    »Zeit, dass du dich in deinen Smoking wirfst«, hatte sie ihm gesagt und das Glas neben seinen Ellbogen gestellt. Sie waren vom

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