Passwort: Henrietta
Erleichterung und Enttäuschung machte sich bei ihm breit.
Und dann, fast drei Wochen nach Ankunft des braunen Umschlags, fiel Leon eine Schlagzeile auf, bei der er die Fäuste ballte.
NASDAQ -Liebling TelTech in Übernahmegesprächen mit Serbio.
Er sperrte sich in sein Büro ein und überprüfte den Serbio-Kurs. Zehn Dollar, weiter steigend. Er schenkte sich einen großen Whiskey ein, lockerte die Krawatte und machte sich auf eine lange Sitzung gefasst. In den nächsten Stunden saß er gebannt vor dem NASDAQ -Ticker. Am Ende der Börsensitzung in New York, um 21:30 Uhr irischer Zeit, stand der Serbio-Kurs bei fast fünfundzwanzig Dollar. Leon überschlug es im Kopf und starrte finster auf die Zahlen vor sich. Bei einem Trade mit dreißigtausend Anteilen hätte er über eine halbe Million Dollar netto verdient.
Zwei Wochen später erhielt er den zweiten braunen Umschlag vom Propheten, und diesmal zögerte er nicht. Er richtete ein neues Depot ein, ohne Merrion & Bernstein davon zu unterrichten, und machte über siebenhunderttausend Dollar. Mit dem dritten Umschlag schickte der Prophet die Forderung nach einem Anteil am Gewinn und legte Instruktionen bei, wie das Geld zu zahlen war. So war es nachher dann immer gelaufen.
Jemand übergab sich im Gemeinschaftsbad auf dem Flur gegenüber, und nicht zum ersten Mal hätte Leon sein möbliertes Zimmer am liebsten abgefackelt. Seine Hand schoss zum weißen Umschlag auf dem Tisch, im letzten Augenblick aber griff er nach dem Telefonhörer. Vielleicht wäre es diesmal besser, wenn er mit Maura redete. Vielleicht gab es ja einen Weg zurück. Ohne den weißen Umschlag.
Er wischte sich die Hand an seinem T-Shirt ab und wählte seine alte Nummer. Er stellte sich vor, wie Maura zum Telefon eilte, wie ihre Absätze auf den schwarzen und weißen Marmorfliesen klackten, die schachbrettartig im Flur verlegt waren. Dann hörte er ihre Stimme.
»Hallo?«
Leon straffte die Schultern und konzentrierte sich auf den baufälligen offenen Kamin in seinem Zimmer. »Ich bin’s.«
Ein kurzes Schweigen. »Leon. Ich wollte gerade gehen.«
»Oh, tut mir leid. Ich wollte nur kurz mit dir sprechen.«
»Ich hab wirklich nicht viel Zeit.«
Er rappelte sich auf und ging wie ein dementer Bär im Zoo die wenigen Schritte zwischen Kamin und Sofa hin und her. »Dachte, ich ruf mal an. Du weißt schon, um Richard zu sehen.«
»Was, jetzt? Ich hab eine Verabredung zum Essen.«
»Nein, natürlich nicht jetzt, ich weiß, du hast zu tun. Vielleicht später am Nachmittag?«
»Da hat Richard sein Rugbytraining.«
»Na, wie wär’s dann heute Abend?«, fragte er. »Ich könnte zum Tee vorbeikommen.«
Sie schwieg eine Weile. »Du meinst, ich mach dir Tee?«
Er blieb vor dem Kamin stehen, schloss die Augen und hielt sich am Kaminsims fest. »Nein, nein, das meinte ich nicht. Nach dem Tee dann. Ich komme nach dem Tee.«
»Das geht nicht, er muss lernen. Er macht dieses Jahr sein Junior Certificate, falls du das vergessen haben solltest.«
Leon schlug die Augen auf und starrte auf den leeren, schwarzen, kalten Kaminrost. »Natürlich hab ich das nicht vergessen.« Scheiße, warum hatte er sich nicht daran erinnert? »Ich werde nicht lange bleiben. Nur auf einen kurzen Plausch.«
»Hör zu, ich will wirklich nicht, dass er gestört wird.«
Leon trottete zu seinem ungemachten Bett und ließ sich darauf nieder. »Komm schon, sei fair, es ist Monate her, dass ich ihn gesehen habe.«
»Es ist länger her, Leon.«
Er sah die Küchenzeile an der gegenüberliegenden Wand, auf der sich das verdreckte Geschirr und die Take-away-Kartons stapelten. »Na ja, war alles ein wenig hektisch bei mir.«
»Ja, kann ich mir vorstellen«, kam es von ihr mit tonloser Stimme ohne jeglichen sarkastischen Unterton.
»Fragt er nach mir?« Er hielt sich mit einer Hand das Knie.
»Nicht oft.«
Seine Kehle war wie zugeschnürt, eine Minute lang sagte er nichts.
»Ich spreche ihn auch nicht darauf an, um die Wahrheit zu sagen«, fuhr Maura fort. »Was soll ich schon sagen? Deinem Vater geht es toll, außer dass er mit Wirtschaftskriminalität zu tun und ein kleines Problem mit Glücksspielen hat? Du bist kein einfaches Gesprächsthema.«
Scheiße. Wieder entglitt ihm alles. »Aber das wird sich ändern, Maura, ich schwöre es.« Er warf einen Blick auf den Umschlag. »Ich krieg es auf die Reihe. Bald bin ich wieder da, wo ich früher war. Leon-the-Ritch.«
»Ich muss jetzt wirklich los.«
»Ich mein es ernst. Alles
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