Passwort: Henrietta
Beifahrersitz und bog um die Ecke in die Kildare Street. Verflucht seien die großen Schwestern, die einem immer Schuldgefühle einreden wollten. Es hatte keinen Sinn, sich mit ihrem Vater zu treffen. Sie brauchte seine Hilfe, aber die bekam sie nicht. Eine Sackgasse.
Trotzdem beschlich sie eine böse Ahnung. Vielleicht sollte sie doch noch mal mit ihm reden, ihm eine weitere Chance geben. Schließlich hatte sie noch einige Fragen. Zum Beispiel: Wer war der Prophet? Er musste irgendwelche Vermutungen dazu haben, irgendwelche Hinweise auf dessen Identität. Und wer war Ralphy-Boy? Vielleicht kannte ihr Vater ihn.
Sie schüttelte den Kopf. Es spielte keine Rolle, wer der Prophet war. So oder so, sie musste ihm die zwölf Millionen Euro beschaffen.
Wenige Meter vor dem Lúbra-Büro hielt sie an. Sie packte ihre Tasche, sperrte den Wagen zu und rannte mit eingezogenem Kopf durch den Hagelschauer über die Straße.
Sie drückte die Tür zum Eingangsbereich auf, wo Annabelle, die Rezeptionistin, telefonierte. Harry winkte ihr kurz zu und betrat das Hauptbüro.
Es war voller Leute. Hier und da waren Gruppen um einen Schreibtisch versammelt und deuteten auf einen Bildschirm. Ihr Blick wanderte von ihnen zum Büro an der Rückwand. Keine Spur von Dillon.
Harry eilte zu ihrem Tisch am Fenster, schnappte einige Willkommensgrüße auf, blieb aber nirgends stehen, um sich nicht Fragen über die Schnitte in ihrem Gesicht anhören zu müssen. Sie setzte sich, fuhr den Laptop hoch, lauschte den Hagelkörnern, die gegen die Fensterscheibe trommelten, während sie sich anmeldete und das E-Mail-Programm aufrief.
»Der Schnitt war gestern noch nicht da.«
Sie sah auf. Imogen starrte mit verschränkten Armen auf die klaffende Wunde über ihrem Auge. Harry seufzte.
»Ich weiß. Seit gestern ist einiges passiert. Aber bevor du über mich herfällst, ich habe mich an deinen Ratschlag gehalten.«
»Ach, wirklich?« Imogen warf sich auf einen Stuhl neben Harry. »Und?«
»Lief nicht besonders gut. Erzähl ich dir später.«
Imogen schüttelte den Kopf. »Was ist das nur mit den Familien? Ich dachte immer, in so einer Kleinfamilie wie deiner käme man besser miteinander aus.« Imogen stammte aus einer sechsköpfigen Familie, deren Mitglieder sich ständig kabbelten und untereinander wechselnde Bündnisse eingingen. Im Moment redete sie mit keinem von ihnen. »Scheint auch nicht so einfach zu sein.«
»Das ist es nicht, glaub mir.« Harry hielt inne. Es kostete sie einige Mühe, nicht die Stimme zu erheben. »Ist Dillon da?«
»Das Junggesellchen? Nein, ist nach Kopenhagen geflogen.«
»Jetzt schon?«
»Hat einen früheren Flug bekommen.« Imogen runzelte die Stirn. »Stimmt was nicht?«
Harry kontrollierte die Signale, die ihr Körper aussandte. Das Bedürfnis, seine Stimme zu hören, war noch immer da. Verdammt!
Sie schüttelte den Kopf. »Wollte nur mal mit ihm reden. Werde ich wohl auf später verschieben müssen.«
Sie sah zum Bildschirm und zuckte vor Schmerzen kurz zusammen. Jede Bewegung von Kopf und Nacken tat ihr weh, ein klassischer Fall von Schleudertrauma. Vielleicht sollte sie einen Chiropraktiker aufsuchen.
»Nicht bewegen.« Imogen hüpfte vom Stuhl und verschwand. Eine Minute später kehrte sie zurück, in der Hand ein Glas Wasser und zwei weiße Tabletten.
»Was ist das?«, fragte Harry.
»Einfach schlucken.«
Harry tat wie ihr befohlen. Imogen nahm ihr das leere Glas ab.
»Du hast hier nichts verloren, du siehst schrecklich aus«, sagte sie, während sie zu ihrem Schreibtisch ging. »Ich werde ein Auge auf dich haben.«
Harry wartete, bis ihre Freundin fort war. Dann drehte sie sich um, wobei sie den Kopf so wenig wie möglich bewegte, und ging ihre E-Mails durch. Zweiundsiebzig ungelesene Nachrichten. Seit Freitag war doch einiges zusammengekommen. Es standen drei weitere Penetrationstests an, zwei Untersuchungen von möglicherweise angegriffenen Rechnern und eine Sicherheitsstudie bei einem Unternehmen, aber Gott sei Dank nichts davon besonders dringlich. Sie überflog die Nachrichten, überprüfte die Absender, falls etwas Dringendes dabei sein sollte. Dann erstarrte sie.
Der Domainname des Absenders schien auf dem Bildschirm zu pulsieren. Anon.obfusc.com. Mit zitternder Hand griff sie zur Maus. Sie biss die Zähne zusammen. Doppelklick.
Zeit für die Geldübergabe, Harry. Überweis es bis Mittwoch, 17:00 Uhr, auf das folgende Konto:
SWIFT -Code: CRBSCHZ 9
IBAN : CH 9300762011623852957.
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