Passwort: Henrietta
Verfügung gestellt hatte, nachdem ihr Mini abgeschleppt worden war. Sie hatte die Versicherung davon überzeugen können, dass kein anderes Fahrzeug am Unfall beteiligt gewesen war und es daher unnötig sei, die Polizei einzuschalten. Das Letzte, was sie jetzt brauchte, war eine weitere Begegnung mit Detective Lynne. Mit Gewalt legte sie den Gang ein und dachte seufzend an ihren geliebten Mini, der sich wie mit Butter geschmiert hatte schalten lassen. Sie würde nie wieder mit ihm fahren können.
Sie stellte die Scheibenwischer an und bog nach rechts auf die O’Connell Bridge. Eigentlich hatte sie nach Hause fahren wollen, dann aber fiel ihr ein, dass das Lúbra-Security-Büro nicht weit entfernt und es langsam wieder an der Zeit war, sich an die Arbeit zu machen.
Sie musste an Dillon denken: sein Gesicht über ihr, sein Atem auf ihren Lippen. Ihre Oberschenkel kribbelten, etwas in ihr schwoll an. Vor sechs Uhr morgens, sie war kaum wach gewesen, hatte er ihre Wohnung verlassen. Er wollte noch an diesem Tag nach Kopenhagen fliegen, um die Fusion zwischen Lúbra und einer anderen Sicherheitsfirma unter Dach und Fach zu bringen. Einige Tage lang würden sie sich also nicht sehen. Plötzlich hatte sie das ganz starke Bedürfnis, seine Stimme zu hören.
Mit einer Hand wühlte sie in ihrer Tasche, bis sie das Handy gefunden hatte. Sie wählte seine Nummer und wartete, bekam aber nur Dillons Mailbox. Was vielleicht gar nicht so schlecht war. Es war keine gute Idee, einen Typen anzurufen, wenn man meinte, ihn nötig zu haben. Vor allem zu einem so frühen Zeitpunkt der Beziehung, wenn man seine Persönlichkeitsstörungen am besten noch unter Verschluss halten sollte.
Sie seufzte und warf das Handy auf den Beifahrersitz. Fast im gleichen Augenblick klingelte es. Sie hob es auf.
»Hallo?«
»Na endlich. Wir versuchen dich seit Tagen zu erreichen.«
Sie spürte, wie ihre Schultern nach unten sanken. Es war Amaranta, ihre Schwester.
»Tut mir leid«, sagte Harry. »Hatte die ganze Woche eine Menge zu tun.«
»Wir haben alle zu tun, weißt du.«
Bei ihrem schulmeisterlichen Tonfall rollte Harry mit den Augen. »Gut.«
»Es geht um Dad«, begann Amaranta.
Harry schnitt ihr das Wort ab. »Ich weiß. Er kommt heute raus. Ich war gerade bei ihm.«
Schweigen. Harry sah Amaranta vor sich, wie sie unter der Treppe saß und die Notizblöcke und Stifte auf dem Telefontischchen vor ihr im rechten Winkel ausrichtete. Diesen peniblen Ordnungswahn hatte sie bereits gehabt, als sie sich noch zu Hause das Zimmer auf dem Dachboden geteilt hatten. Auf Amarantas Seite des Sprungseils standen die Schuhe alle in einer Reihe, die Buchrücken waren wie mit einem Lineal ausgerichtet. Auf Harrys Seite ging es etwas chaotischer zu.
»Wie sieht er aus?«, fragte Amaranta schließlich.
Harry atmete laut aus. Wie sollte sie diesen fesselnden, unehrlichen und intriganten Mann beschreiben?
»Er ist alt geworden«, sagte sie letztendlich nur.
»Hat er gesagt, wo er wohnen will?«
»Ich habe ihn nicht gefragt.«
Eine weitere Pause. Harry fuhr um das College Green herum, nahm kurz beide Hände vom Steuer, um in den nächsten Gang zu wechseln. Der Busfahrer hinter ihr war von dem Manöver nicht begeistert.
Sie riskierte eine direkte Frage. »Warum hast du aufgehört, ihn zu besuchen?«
»Ich habe nicht einfach nur aufgehört, ich musste mich um Ella kümmern. Kleinkinder beanspruchen viel Zeit, weißt du. Daddy hat es verstanden. Ella hatte Vorrang.«
Nach ihrem Ton zu schließen, war das Thema für sie damit erledigt. Dann räusperte sie sich. »Die Dinge ändern sich, wenn man Kinder hat. Man sieht vieles mit anderen Augen.«
»Du meinst, du hast gesehen, welch lausiger Vater er war?«
»Zumindest habe ich ihn nicht ganz im Stich gelassen.«
Toll. Jetzt führte sie sich als Harrys gutes Gewissen auf. Waren alle großen Schwestern so?
»Wie ich, meinst du?«, erwiderte Harry.
»Eigentlich wollte er immer nur dich sehen. Du warst schon immer sein Liebling.«
Sie klang nicht verbittert, sie sprach damit nur eine Tatsache aus, die sie beide schon vor Jahren akzeptiert hatten.
»Hör zu, ich mach lieber Schluss. Ich sitze hier im Auto, und der Verkehr ist ziemlich dicht.«
»Hast du mit ihm was ausgemacht, wann ihr euch wiederseht?«
Harry musste an die hoch aufragenden Gefängnismauern denken und knallte den zweiten Gang rein. »Nein. Nein, habe ich nicht. Hör zu, ich ruf dich nächste Woche an.«
Sie warf das Handy auf den
Weitere Kostenlose Bücher