Passwort in dein Leben
wegzog. Sie hat uns dann noch ein paar Briefe geschrieben und damit angegeben, dass ihre neue Freundin echte Esel hat, auf denen sie reiten darf. Clara hat sich daraufhin auch einenEsel gewünscht und Reitstunden bekommen. Allerdings auf einem Pferd. Da hat sie sich aber geweigert, weil sie Pferde nicht ausstehen kann … Clara. Sie müsste jetzt schon zu Hause sein.
Und ohne richtig nachzudenken, mache ich mich auf den Weg zu ihrem Haus, gehe den Pfad am See entlang. Es nieselt ein klein wenig, aber die Sonne ist dabei, durchzubrechen, malt glitzernde Streifen auf den See. Kleine Wellen. Es stinkt nach vergammeltem Fisch. Meine Schritte werden immer langsamer. Ich denke an die Clara aus der Zeitung. An ihr vertrautes Grinsen, das plötzlich etwas Fremdes hat. Ich kann schlecht einfach klingeln und sagen: »Hi, Clara, schön, dass du da bist, ich sitze knietief in der Scheiße und brauche dringend deine Hilfe.«
Ich meine, das käme dann doch zu bescheuert rüber. Trotzdem. Irgendwann wird Romi, oder wer auch immer dahintersteckt, die Bombe platzen lassen. Und dann? Kann ich nur noch die Schule wechseln oder gleich auswandern … Immer näher komme ich dem Viertel, in dem Clara wohnt. Nur wenige Leute sind unterwegs, obwohl sich die Sonne jetzt ganz durchgekämpft hat, die Tropfen auf den Blättern glitzern und die Welt frisch gewaschen riecht. Ab und zu kommt mir jemand mit einem Hund entgegen und ein paar vermummte Radler. Wie immer. Radeln scheint für Rentner total in zu sein, in großen Gruppen fahren sie auf Hightech-Rädern, bekleidet mit den modernsten Funktionsklamotten, im Schneckentempo am See entlang. Clara hat sogar mal ein Lied gedichtet: »Alle Rentner radeln ….«
Der Weg führt vom See weg, um die Villen herum, die alle einen Privatstrand haben. Oft haben wir den nicht genutzt, außer wenn ich bei Clara übernachtet habe und wir nachts noch mal schwimmen wollten. Oder am frühen Morgen. Clara hat das sogar noch weit in den Herbst hinein gemacht und ganz früh im Frühjahr.
Aber als ihr Bruder zurückkam, im Frühjahr bevor Clara fortging, wollte sie nicht mehr.
Wir sitzen auf dem Kirschbaum und ich versuche, coole Fotos von den Blüten mit Makroobjektiv zu machen. Clara zieht ihre Stoffschuhe aus und wirft sie hinunter ins Gras. Dabei ist es noch ziemlich kalt. Ich entdecke eine kleine Raupe und versuche, ein Bild von ihr zu machen. Aber meine Kamera ist zu schlecht, das Bild wird ständig unscharf. Draußen auf dem See hupt ein Boot. Clara fängt an, auf dem Ast zu wippen, es schaukelt. Ich kann gar nicht hinsehen und bin froh, weiter unten zu sitzen als sie. Allerdings könnte es sein, dass sie mir direkt auf den Kopf fällt, wenn ihr Ast durchbricht.
»Freust du dich, dass dein Bruder zu euch zieht?«, frage ich, um sie abzulenken.
Sie hört wirklich auf, starrt auf ihre Zehen.
»Kannst du dir vorstellen, wie das wird?«, frage ich weiter, weil sie nichts sagt.
»Ich kenne ihn doch gar nicht richtig«, murmelt sie schließlich. »Er ist nur genetisch mein Bruder. Eigentlich ist Tatjana meine Familie. Der Rest …« Sie macht eine wegwerfende Handbewegung und schwankt gefährlich.
Clara hat wirklich am meisten Zeit mit Tatjana verbracht, die zur Familie gehört, seit Clara geboren wurde. Damals haben ihre Eltern die Putzfrau durch ein Haus- und Kindermädchen ersetzt. Sie waren ständig mit ihrer Firma beschäftigt. Ralf haben sie gleich als Baby zu den Großeltern gegeben. Er hat sich an die Oma geklammert und geweigert, nach Hause zu kommen, als die Eltern ihn nach Claras Geburt holen wollten. Deshalb haben sie ihn dort gelassen. Er kam nur hin und wieder quasi auf Besuch nach Hause, in den Ferien und zu Claras Geburtstag zum Beispiel. »Wie ist er eigentlich?«, frage ich. »Ich meine, wie geht's ihm?«
Clara kaut an einer Haarsträhne, wie immer, wenn sie sich aufregt. »Doof wie immer! Komm, ich zeig dir, wo Ameisen sind. Vielleicht klappt's ja mit denen?«
Ich weiß, dass damit das Thema für sie beendet ist. Aber so schnell gebe ich diesmal nicht auf.
»Ist er immer noch so nervig wie früher?«, frage ich.
»Jetzt macht er einen auf spießig«, sagt sie und verzieht das Gesicht. »Letztes Mal sagt der doch glatt, ich soll mich braun anziehen. Braun! Weil das zu meinen braunen Augen passt. Geht's noch?«
Ich muss aufpassen, dass ich nicht lache.
Clara vorzuschlagen, sich braun anzuziehen. Ausgerechnet. Sie liebt bunte Farben über alles.
Danach reden wir nicht mehr über
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