Passwort in dein Leben
steht:
Manche würden es auch als Enthüllung bezeichnen oder als Öffentlichmachen des wahren Gesichts einer Person.
Ganz schön geschwollen ausgedrückt. Aber darum geht es nicht. Ich entferne den Kommentar und hoffe, dass ihn noch niemand gesehen hat.
Zu spät. Bild und Kommentar sind auch auf anderen Seiten. Auf Julias zum Beispiel und auf Romis. Und auf einer dieser Lästerseiten, wo man anonym über Leute aus verschiedenen Schulen herziehen kann. Manchmal hackt sie jemand und dann ist eine Weile Ruhe, bis eine neue Seite auftaucht. Und schon bekomme ich die erste SMS – von Julia.
Sag mal, geht’s noch?
Ich würde am liebsten abhauen. Auf eine einsame Insel vielleicht. Oder irgendwohin, wo mich keiner kennt. Oder gleich tot sein …
Aber das ist nur der Anfang. Es hagelt Kommentare und SMS. Die meisten handeln davon, wie neidisch ich bin, was für eine schlechte Verliererin. Aber es sind auch Beschimpfungen darunter, dass ich einen dicken Arsch habe oder eingewiesen werden sollte …
Ich halte es nicht mehr aus und rufe Julia an.
»Ich habe da echt nichts damit zu tun!«
Stille.
»Bitte glaub mir. Warum sollte ich so was machen?« Sie klingt fast atemlos, als sie endlich antwortet, ganz anders als die Julia, die ich sonst kenne. »Ja, du versteckst dich hinter deinem ach so perfekten Freund!«
Einen Moment lang will ich ihr schon die Wahrheit sagen. Da höre ich im Hintergrund Romis Stimme.
»Was redest du denn mit der noch? Die ist doch total krank im Hirn!«
»Ich wusste nichts davon«, murmle ich und finde selbst, dass ich total lahm klinge.
»Dann würde ich schnellstens mit dem Schwein Schluss machen!«, sagt sie und legt auf.
Schluss machen. Wie macht man mit jemandem Schluss, der gar nicht existiert?
Die einzige Lösung, die mir einfällt, ist Facebook.
Ich poste auf meine Seite und auf die von Mario.
Sofie: Was du da treibst, Mario, finde ich total scheiße. Damit will ich nichts zu tun haben. Deshalb mache ich jetzt mit dir Schluss. Ich will nie wieder etwas von dir hören!
Dann blockiere ich ihn.
»Wow!« Clara strahlt mich an. »Das ist klasse. Die einfachste und beste Lösung. Niemand kann dir mehr was vorwerfen. Du bist ihn, wer auch immer er ist, los!«
Ich fühle mich eher so, als würde ich immer noch in einem Tunnel feststecken. Aber mit Clara kommt ein wenig Licht zurück. Draußen kämpft sich gerade die Sonne durch die Novemberwolken. Es ist wie in einem Film. Alles passt zusammen.
Ich schlucke. »Trotzdem sind sicher noch alle sauer auf mich.«
»Die kriegen sich schon ein«, Clara grinst immer noch. »Okay, vielleicht werden sie nicht mehr deine besten Freunde, aber du hast ja auch ihr wahres Gesicht gesehen und willst das jetzt sicher nicht mehr…«
Ich nicke, obwohl ich mir nicht ganz sicher bin. Es war schon etwas Besonderes, zur Clique zu gehören, von den anderen um meinen tollen Freund beneidet zu werden. Ich schäme mich selbst für meine Oberflächlichkeit.
»Ich denke, deine Trennung von diesem Trottel müssen wir gebührend feiern«, meint Clara.
Ich habe keine Ahnung, was sie mit ›Feiern‹ meint. Das letzte Mal, als wir zusammen gefeiert haben, war an ihrem zwölften Geburtstag. Damals haben wir einen Wettbewerb gemacht, wer den meisten Kuchen essen kann, und Scharade gespielt. Dafür sind wir nun wirklich zu alt.
»Wir gehen heute Abend aus. Im Club gibt's ein Konzert!«
»Nee!«
Sie sieht aus, als hätte ich ihr etwas weggenommen. Ich schlucke. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, mit Clara in den gleichen Club zu gehen, in dem ich bisher immer mit der Clique war. In dem ich mit David geknutscht habe.
»Wenn du dich verkriechst, machst du dich verdächtig«, behauptet sie und sieht mich nicht an.
»Aber, was sage ich zu ihnen?«
Sie seufzt. »Na, dass du wirklich nicht wusstest, dass er so komisch tickt, und dass es dir total leidtut, natürlich.«
»Und dann?«
»Geben sie vermutlich Ruhe und lästern über den Nächsten. Spätestens in einem Monat ist alles wie immer.«
Ich kann mir das nicht vorstellen.
Für mich wird nie mehr alles wie immer sein. Ich war eine Zeit lang in ihrer Welt, war Davids Freundin, und bin nicht mehr die, die ich einmal war.
»Los komm, Trauerkloß«, sagt sie und sieht mich an. Und ich habe mit einem Mal das Gefühl, dass sie mich wirklich sieht, genau weiß, was mir helfen könnte, obwohl sie mir ein paar Monate lang überhaupt nicht mehr nahe war. Vielleicht einfach, weil wir uns schon so lange
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