Passwort in dein Leben
ihr alle gut drauf?«
Ein paar Leute rufen irgendwas, aber die meisten ignorieren ihn einfach.
»Weiter vor?«, fragt Clara.
Ich merke, dass ich nicht wirklich da bin, dass meine Augen dabei sind, den Raum nach irgendwem von der Clique abzusuchen. Ich entdecke niemanden. Trotzdem bin ich lieber vorsichtig.
»Hab erst mal Durst«, sage ich.
Jede mit einer Bionade in der Hand, stehen wir am Rand der Tanzfläche. Clara wippt ein wenig mit den Beinen. Der Bass klingt tief unten in meinem Bauch nach. Ich versuche das Denken abzustellen, nur noch zu sein. Und doch kommen die Bilder immer wieder.
Im Internet habe ich mal ein Video gesehen, bei dem der Sprecher meinte, man könne die Gedanken im Kopf umwandeln und so die Wirklichkeit umschreiben. Ich stelle mir vor, dass alles ist wie früher, wie vor David, wie vor Mario. Wir sind nur wir zwei, Clara und ich. Keine Clique, keine Jungs. Vielleicht ist das ja ganz okay. In unserem Kaff gibt's sowieso keine wirklich tollen Männer. Nach dem Abi könnten wir reisen und in Griechenland am Strand …
»Hi!«, brüllt plötzlich jemand und eine Hand berührt mich an der Schulter.
Ich drehe mich um und vor mir steht ausgerechnet Erwin.
Ich nicke und versuche seine Patschehand loszuwerden.
»Coole Band!« Er beugt sich so nah zu mir rüber, dass ich seinen Atem riechen kann. Ich bin fast überrascht, weil er nach Pfefferminz riecht, angenehm, frisch. Anscheinend war ich unbewusst immer davon überzeugt, er würde stinken.
Ich nicke und sehe Clara an.
Sie bemerkt mich nicht, weil sie einen Jungen anschaut, einen, der neben Erwin steht. Er hat wuschlige, dunkle Locken, die ihm immer wieder in die Augen fallen.
»Mein Cousin Tim«, ruft Erwin. »Er ist gerade hierhergezogen, wohnt ein Jahr bei uns, weil seine Eltern …«
Der Rest seines Satzes geht in einem Schlagzeugsolo unter. Ist eigentlich ja auch egal, was mit Tims Eltern los ist. Mir zumindest. Clara anscheinend nicht. Sie hat sich zu ihm gebeugt und die beiden reden miteinander.
Anscheinend ist die Band fertig. Ein paar dünne Stimmen fordern eine Zugabe. Aber die meisten Leute unterhalten sich laut und haben sich von der Bühne weggedreht.
»Kennst du schon alles hier?«, höre ich Clara fragen.
»Bin erst heute angekommen«, meint Tim. »Erwin sagt, es wäre nicht viel los in Lindau.«
»Kommt drauf an, wie man es sieht«, behauptet Clara und ihre Augen leuchten.
Ich sehe sie überrascht an. Normalerweise ist sie immer bei den Ersten, die behaupten, dass Lindau eine alte Stadt für alte Leute sei.
Die Lautsprecher knacken laut, es gibt einen Pfeifton, der in den Ohren wehtut.
»Hi, Leute, hört mir einen Moment lang zu«, sagt jemand auf der Bühne. Es ist der Stempel-Junge, der mich vorhin angelächelt hat.
»Die No-Gos kommen heute leider nicht …«
Enttäuschtes Gemurmel und Gebrüll.
»Der Sänger hat eine Stimmbandentzündung. Dafür machen die Island-Rockers richtig Party mit uns.«
Island-Rockers. Julias Band. Das hat mir gerade noch gefehlt.
Und gerade so, als wäre das noch nicht genug, sehe ich auch noch David, der hilft, das Equipment auf die Bühne zu schleppen. Jemand, der sich am Rand niedergelassen hat, ruft ihm was zu. Ich erkenne Annabelle und die anderen. Irgendwas in mir friert ein.
Zwischen dem ganzen Lärm, der immer wieder pfeifenden Anlage, dem Geschrei der Leute und dem Klackern von Flaschen und Gläsern höre ich plötzlich ganz deutlich Claras Stimme. »Die sind voll lahm. Wollen wir was Cooles machen? Ich habe da eine Idee …«
Blicke quer durch den Raum, direkt auf mir. Ich kann richtig fühlen, wie sie über mich reden. Gerade eben sagt Romi was und die anderen scheinen sich halb totzulachen. David ist stehen geblieben, glotzt ebenfalls zu mir rüber. Dann lösen sie sich aus der Menge, Romi und Sina. Beide haben sich aufgetakelt, mit Miniröcken, die kaum ihre Hintern bedecken. Aber der von Sina ist sowieso so flach wie ein Brett. Ich sehe sie direkt auf mich zukommen und bin wie angefroren, kann nur zu ihnen hinsehen, wie sie näher kommen, immer näher.
Und da packt jemand mich am Arm und zieht mich in Richtung Ausgang. Clara. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Erwin und Tim uns folgen. Gerade so, als wollten wir sowieso gehen, als sei nichts passiert.
Draußen kratzt mich die eisige Luft im Hals.
»Und jetzt?«, höre ich Erwin wie durch Nebel fragen.
»Weg hier«, erklärt Clara und stapft in Richtung nächste Ecke davon. Wir laufen ihr nach wie eine Herde
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