Passwort in dein Leben
Schafe.
»So eilig?«, fragt Erwin.
Clara wirft ihm einen Blick über die Schulter zu. »Du weißt genau, was in den letzten Tagen auf Facebook los war, oder? Und du kennst Romi, bist auch auf ihrer Friends-Liste.«
Erwin verdreht die Augen. »Eine intellektuell total unschuldige Schlange«, erklärt er Tim.
Dieser nickt.
Ich muss grinsen. »Intellektuell unschuldig« ist wirklich eine gute Umschreibung.
»Also, was machen wir jetzt?«, fragt Erwin, als wir um die Ecke an einem Mülltonnenhäuschen stehen bleiben.
»War jemand schon mal bei Nacht auf dem Turm am Hafen?«, fragt Clara und in ihren Augen glitzern die Straßenlaternen.
»Natürlich nicht«, murmelt Erwin, »da gehe ich nicht mal bei Tag rauf, alles voller Touris.«
»Ne, nachts nicht. Und ich weiß, wo der Schlüssel ist«, erklärt Clara triumphierend und zwinkert mir zu.
Und mit einem Satz und einem Augenzwinkern wird diese Novembernacht zu einem Erlebnis irgendwo außerhalb der Zeit. Ich bin ich und doch eine ganz andere. Wir sind wieder acht Jahre und gleichzeitig erwachsen und frei. Clara klettert auf einen Baum auf der Insel und hängt dann kurz darauf wie ein Affe an einem Ast, einen alten Schlüssel zwischen den Zähnen. Tim fängt sie auf und die beiden landen kichernd im feuchten Gras. Nur einen kleinen Augenblick lang sind sie verlegen. Irgendwo in der Ferne schreit ein Vogel und der Schatten eines Schiffes schaukelt allein auf den Wellen, die der Wind in den See bläst.
»Kommt«, ruft Clara und rennt los.
Wir halten uns gegenseitig den Mund zu, um nicht laut loszulachen, als wir uns an den Turm anschleichen. Der Wind weht Fetzen von Blasmusik aus einem der Tourihotels zu uns herüber, ein Zug pfeift am Bahnhof nebenan. Nur vom Mondlicht beleuchtet stolpern wir die ausgetretenen Steinstufen zum Turm hinauf und drücken oben unsere Köpfe durch die Luken. Der Löwe gegenüber leuchtet im Licht.
Tim sagt was Albernes und Clara lacht.
»Was?«, fragt Erwin mich, aber ich zucke nur die Achseln.
Ich würde gerne die Arme ausbreiten und in den wolkigen Himmel hineinfliegen. Oder irgendeinen der Sterne fragen, was die Zukunft bringen wird, die mir in diesem Augenblick wieder geheimnisvoll vorkommt und nach der ich mich so sehne.
Ich zucke zusammen, als ich plötzlich Erwins dicklichen Arm an meinem spüre und merke, dass er mich mit seinen Schweinsäuglein anschaut. Da muss ich an den Tag im Sommer denken, daran, wie er meine Brüste angeglotzt hat. Mir wird ein wenig übel und ich unterbreche Clara, die Tim erklärt, welche Orte man von hier oben sehen kann, wenn man über den See schaut. Bregenz in ôsterreich und St. Margrethen in der Schweiz zum Beispiel.
»Lass uns was anderes machen«, sage ich.
Wir rutschen und schaukeln auf allen Kinderspielplätzen am See entlang. Tim und Clara quetschensich zu zweit auf eines dieser Pferde, die auf einer Spiralfeder stehen.
»Brummbrumm«, macht Tim und Clara lacht sich darüber halb tot.
Dann kippen sie beide in den Sand.
Erwin will mich überreden, mit ihm dasselbe zu tun, aber ich tue, als hätte ich ihn nicht gehört, und balanciere auf der Mauer entlang. Immer wenn der Mond aus den Wolken herauskommt, glitzert der See. Ich frage mich, wo die Enten in der Nacht sind.
Wir kaufen Dosenbier am Bahnhof, lauwarme Pommes und Schokokekse. Dann setzen wir uns dicht an die Mauer am See. Ich schaffe es, nicht neben Erwin zu sitzen, indem ich mich dicht neben Clara in eine Nische presse. Der Wind ist kalt und mein Hintern schläft auf den harten Steinen ein. Aber irgendwie ist das egal. Wir reden über alles und nichts und Claras Hand findet die von Tim. Es macht mir nichts aus. Ich habe das Gefühl, dass irgendwann meine Zeit schon noch kommen wird, und in diesem Moment ist alles, wie es sein sollte. Leichter Nebel zieht auf, legt sich über den See wie eine Watteschicht. Der Wind raschelt in den Bäumen und Clara riecht nach Zitronenseife. Die Wellen rauschen und wir beobachten, wie ein verdächtiges Objekt immer näher angeschwemmt wird. Tim glaubt, es wäre eine geheime Botschaft. Clara tippt auf Schatzkarte und wir überlegen uns alle, was wir machenwürden, wenn wir einen Schatz finden. Wir einigen uns auf eine Weltreise. Irgendwann rülpst Erwin laut und Clara erzählt, dass wir als Kinder mal versucht haben, uns mit Mineralwasser das Rülpsen beizubringen. Heute ist mir nicht mal peinlich, als sie erzählt, wie ich nach vielen verzweifelten Versuchen mitten auf den Teppich in ihrem
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