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Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Stehle
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Wohnzimmer gekotzt habe.
    Drei Handys melden sich gleichzeitig. Meins, Claras und Erwins. Wieder mit unterdrückter Nummer, wieder ein Link zu einem YouTube-Video. Ich habe plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Meine Hand zittert so, dass mein Handy auf die Steine fällt.
    »Soll ich?«, höre ich Clara durch den Nebel fragen.
    Mir ist mit einem Mal schlecht, ein seltsamer Geschmack in meinem Mund. Ich will das nicht, will nicht, dass irgendwas mich aus diesem Gefühl holt. Dabei ist das natürlich längst schon geschehen.
    Erwin hat sowieso schon auf den Link getippt. Er hält das Handy in unsere Richtung. Der Film spielt auf einer der Toiletten bei uns in der Schule. Ein Mädchen steckt sich den Finger in den Mund und kotzt. Brezelreste und etwas Braunes.
    Die Welt beginnt sich zu drehen.
    Das Mädchen wischt sich mit Klopapier über den Mund, spült dann mit Mundwasser nach und erneuert den Lippenstift. Dann sieht sie auf. Ich erkenneAnnabelle. Eine dicke Schrift erscheint.
    Annabelle Leitners Schlankheitsrezept.
    »Ich weiß nicht, ob ich das unbedingt hätte wissen wollen«, meint Clara trocken.
    »Was war das denn?«, fragt Tim. Er sieht ehrlich verwirrt aus.
    »Ach, irgendein Blödmann macht gerade lauter so dummes Zeug«, sagt Clara.
    »Also für mich sieht das nach Cybermobbing aus«, Tim sieht uns ernst an. Sein Gesicht ist ein wenig rot geworden. »Habt ihr irgendeine Ahnung, wer dahintersteckt?«
    Wir schütteln die Köpfe.
    »Lass mal sehen, von wo aus wurde es denn gepostet?« Tim nimmt Erwin das Handy ab.
    »Ich kenn mich ja nicht schlecht aus«, erklärt Erwin, »aber mein Cousin ist voll der Crack.«
    »Das hier ist einfach«, sagt Tim, »es gibt einen Link zu einem Facebook-Account.«
    Mario, denke ich. Aber eigentlich weiß ich das schon die ganze Zeit.
    »Ha, da haben wir's: Sofie Blume.«
    »Was?«, höre ich Clara noch sagen.
    Dann schauen sie mich alle drei an.
    Und irgendwas übernimmt die Kontrolle über mich, meine Beine springen auf und ich renne weg über holpernde Steine. Mein Fuß rutscht ab und ich verstauche mir den Knöchel. Egal. Ich beiße dieZähne zusammen und renne weiter. Hinter mir rufen sie irgendwas.
    Der Nebel ist plötzlich der Atem eines Gespenstes, der Mond lacht höhnisch und die Nacht ist unheimlich und kalt. Es ist November und nichts ist, wie es sein sollte.
    Zu Hause vergesse ich beinahe, dass ich immer bei meinen Eltern reinschauen muss, wenn ich zurückkomme. Sogar wenn sie schon schlafen. Einmal war ich früher zurück als geplant, da habe ich sie beinahe erwischt, oder, um genauer zu sein, ich habe gesehen, wie mein Vater von meiner Mutter runtergerollt ist. Also das hätte ich nun wirklich nicht zu sehen brauchen! Seitdem finde ich die ganze Aktion noch viel doofer und bleibe immer einen Moment lang vor ihrer Tür stehen und lausche, nur um sicherzugehen. Heute höre ich meinen Vater schnarchen und mache deshalb kurz die Tür auf.
    »Bin zurück«, sage ich leise.
    Meine Mutter dreht sich um und fährt dann mit einem Ruck hoch. Die Haare hängen ihr strähnig ins Gesicht und wegen des Flurlichts kann ich sehen, dass sie einen Kissenabdruck mitten im Gesicht hat.
    Sie verzieht das Gesicht zu etwas, das wohl ein Lächeln sein soll, aber eher wie eine Grimasse aussieht. »Und war's schön?«
    »Ja«, sage ich, und weil ich selber höre, dass dasziemlich müde klingt, »echt schön. Aber jetzt bin ich voll am Ende …«
    »Gute Nacht, schlaf gut und träum was Schönes«, sagt sie. Genau wie früher immer, als ich klein war. Ich habe dann immer ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn ich schlecht geschlafen oder was Böses geträumt habe.
    »Du auch«, murmle ich und gehe schnell in mein Zimmer.
    Als Erstes klappe ich natürlich mein Laptop auf und lösche den Link von meiner Facebook-Seite. Ich habe keine Ahnung, wie das gehen kann, wie man einfach so von der Seite eines anderen aus posten kann. Müsste man dafür nicht das Passwort wissen?
    Mein Handy klingelt.
    Es ist Clara.
    Ich schalte es aus.
    Seltsamerweise wird meine Welt dadurch stiller.
    Ich möchte zurück in dieses Gefühl der Nacht vor dem blödsinnigen Posting. Da fällt mir ein, dass ich diesmal Zeugen habe, gleich drei Stück. Zeugen dafür, dass ich gar nicht dahinterstecken kann, auch wenn jemand es so aussehen lassen will. Und bevor ich noch genauer darüber nachgedacht habe, habe ich das Video noch mal angeklickt. Obwohl es Nacht ist, sind die Klicks bereits hochgeschnellt, 74, um

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