Passwort in dein Leben
zusammengekniffenen Augen an. »Und wer?«
Ich schlucke. »Erwin.«
»Erwin? Wie kommst du denn darauf?«
»Na, er kennt sich mit Computern aus und konnte mein Passwort erraten …«
»Das trifft ja wohl auf nahezu jeden zu – er meinte, jeder wüsste, was für Passwörter Mädchen wählen.«
Ich hasse es, wenn sie so herablassend mit mir redet. »Außerdem baggert er mich ständig an und vielleicht meint er ja, er hätte eine Chance, wenn mich alle hassen?«
Sie verdreht die Augen. »Meinst du nicht, das ist eine ziemlich dünne Theorie?«
»Aber«, sage ich, »irgendwer muss es doch gewesen sein!«
»Ja, irgendwer«, entgegnet sie. »Aber nicht Erwin!«
»Und warum nicht?« Ich merke, dass ich an den Fransen ihres Kissens herumreiße.
»Hör mal, der Erwin ist zwar ein wenig seltsam oder ungewöhnlich, aber eigentlich voll in Ordnung.«
»Das ist aber neu. Bisher hast du immer …«
»Da kannte ich ihn ja überhaupt nicht. Nur als den dicken Freund meines Freak-Bruders, der versucht, alle Mädchen anzumachen.«
»Ja, eben«, sage ich. »So ist er doch.«
»Nein.« Sie schüttelt vehement den Kopf. »Er ist in Wahrheit schüchtern und schämt sich, weil er so fett ist, aber eigentlich ist er total sensibel.«
»Pfft«, mache ich.
»Doch, Tim sagt das auch.«
»Ja, klar, und was Tim sagt, stimmt natürlich.« Eigentlich müsste sie doch zu mir halten, schließlich bin ich ihre Freundin und nicht der doofe Erwin. Wir kennen uns doch schon ewig!
»Du bist bloß eifersüchtig …«
»Natürlich«, sage ich.
»Schau mal, das war immer dein Problem. Von Anfang an warst du eifersüchtig auf Maren, weil die einen besonderen Draht zu deiner Mutter hat. Scheinbar. Denn du hast viel mehr Aufmerksamkeit bekommen, deine Mutter hat sich für dich interessiert und sich um dich bemüht. Egal, wie kratzbürstig du warst. Trotzdem hast du immer nur gejammert und dich ungeliebt gefühlt. Und diese David-Julia-Geschichte ist ähnlich. Du regst dich total auf. Dabei war das mit David und dir doch von Anfang an …« Sie macht eine wegwerfende Handbewegung. »Ich verstehe nicht, warum du es nicht einfach unter Erfahrung abgebucht hast.«
Ich fühle Tränen hinter meinen Augenlidern aufsteigen und versuche sie zurückzudrängen. Jetzt bloß nicht heulen!
»Aber was machst du? Du startest eine kindische Aktion mit einem erfundenen Freund. So was muss doch nach hinten losgehen«, redet sie weiter.
Ich fasse es wirklich nicht, spüre, wie ich wütend werde. »Sag mal, geht's noch?«, schreie ich.
»… und jetzt suchst du dir ausgerechnet Erwin als Sündenbock. Als hätte der nicht schon genug Probleme. Weißt du eigentlich, dass seine Mutter sich verdrückt hat, als er fünf war? Hat ihn einfach alleingelassen. Erst vor ein paar Jahren hat der Vater eine neue Frau gefunden.«
»Ich überlege doch nur, wer es war«, verteidige ich mich. »Irgendwas muss ich schließlich tun!«
»Du könntest allen die Wahrheit sagen über die Mario-Sache, das fände ich mutig.«
»Und dann?« Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Das hier ist nicht Clara, die mich immer verteidigt hat, die mir geholfen hat, als unsere Zweitklasslehrerin behauptet hat, ich hätte die gemeinen Sprüche an die Tafel geschrieben.
»Gibt es zumindest keine Lüge mehr auf deiner Seite«, sagt Clara bestimmt.
»Und was habe ich bitte davon? Dann glauben die ja, ich wäre zu allem fähig …«
Habe ich eigentlich nie gemerkt, wie eingebildet und selbstgerecht Clara ist? Lisa, die mit uns zur Grundschule gegangen ist, hat mich immer gewarnt, hat gesagt, dass Clara sich was einbildet auf ihre Villa und das Hausmädchen und all die tollen Sachen, die sie immer anhat. Ich dachte damals, dass sie spinnt und eifersüchtig ist, weil sie in einem der Wohnblocks wohnt und ihr Vater Kellner ist. Aber vermutlich hatte sie doch recht. Trotzdem, ich hasse Streit. Und ich brauche Clara.
»Selbst wenn das mit Mario eine dumme Idee war: Ich möchte, dass dieser Terror aufhört, und dafür muss ich rausfinden, wer dahintersteckt …«, sage ich.
Sie schüttelt den Kopf. »Und dann was? Rache nehmen? Das Beste ist immer, zu verzeihen, Dinge ruhen zu lassen …«
»Aha. Als ob jemand in der Schule das ruhen lassen würde!« Ich würde ihr am liebsten die Haare ausreißen oder an ihnen ziehen, wie damals, als wir im Kindergarten gestritten haben, wer zuerst auf die Schaukel darf.
»Sei doch mal vernünftig.« Sie redet noch immer in diesem herablassenden Ton mit mir.
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