Pasta Mortale
verantwortungs- wie anspruchsvolle Aufgabe.
Während jetzt
die rein orchestrale Version von ›Brüderlein, Brüderlein und Schwesterlein‹
gerade begann, beruhigend auf die angespannten Nerven aller Beteiligten
einzuwirken, machte sich Ondraseks Handy mit der Polka aus Smetanas Verkaufter
Braut bemerkbar. Der Prinzipal riss das unschuldige Gerät brutal aus der
Tasche, bohrte seinen Finger wütend auf die Empfangstaste und brüllte »Ja« in
das Mikrofon. Plötzlich veränderte sich sein Gesicht völlig, seine Züge liefen
schlagartig aus den Gleisen, und er wirkte plötzlich sehr traurig,
angeschlagen, hilflos.
»Sag das noch mal«, flüsterte er in das Handy, »sonst glaube
ich es nicht.« Dann hörte er wieder hin. Aus dem Zweifel in seinem Gesicht
wurde plötzlich bittere Gewissheit. So unter dem Motto ›Zweimal hintereinander
macht niemand so einen schlechten Scherz. Da muss schon etwas dran sein‹. Dann
sagte er noch tonlos »Gut, komm her. Wir müssen überlegen, was wir jetzt
machen.« Damit war das Gespräch beendet.
Eva Ondrasek, die 23-jährige Tochter des Chefs und
appetitliche Adele der Inszenierung, ging zu ihrem Vater und legte ihm
beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Was ist denn los, Papa? Du schaust ja
aus, als ob man dir die Aufführung im Park verboten hätte. Sag schon, was ist
passiert?«
»Das war Winterberg«, stammelte er. »Karl war bei der Wohnung
Valerias, und die Nachbarn haben ihm erzählt, dass unser Prinz Orlofsky am
Nachmittag von der Polizei abgeholt worden ist.« Er schüttelte verzweifelt den
Kopf. »Und wisst ihr, warum?«
»Hat sie etwas im Kaufhaus mitgehen lassen oder jemanden auf
der Straße niedergeschlagen?« Palinskis Versuch, witzig zu sein, war voll
danebengegangen.
»Nein«, meinte Ondrasek, »stellt euch diese unfassbare
Sauerei vor. Man hat Valeria in Schubhaft genommen. Natascha ist bei einer
Nachbarin, heult sich die Augen aus dem Kopf und soll noch heute in ein
Kinderheim gebracht werden.«
Betretenes Schweigen lastete über der Szene. Eva begann leise
zu schluchzen, und Gica meinte fassungslos: »Wasse sinde dasse fir Mensche, diese
liebe Frau in Gefängnis.« Er schüttelte den Kopf. »Si questo …, wenn dasse
isse die, come si dice futuro, die Sukunft von die Europa, ick gehen nach
Afrika zu finden Menschen. Bovera ragazza.«
Damit hatte der Triestiner genau das auf den Punkt gebracht,
was alle Anwesenden im Augenblick dachten. Oder zumindest die meisten, hoffte
Palinski.
*
Wilma wollte
eben ihr Handy abschalten, um jedweder Gefahr durch Anrufe während der in Kürze
beginnenden Diskussion wirkungsvoll vorzubeugen, als sich das lästige Ding
meldete. Ganz so, als ob es sagen wollte: »Ehe du mir jetzt für einige Zeit den
Mund verbietest, hörst du dir das aber bitte noch an.« Ein Blick auf die Uhr
zeigte der Grünen-Bezirksrätin, dass sie noch einige Minuten Zeit hatte. Die am
Display aufscheinende Rufnummer sagte ihr nichts. Die Vorwahl versprach aber
ein Auslandsgespräch, Italien, falls sie sich nicht irrte. Und so siegte
schließlich Wilmas Neugier.
»Bachler«,
meldete sie sich vorsichtig und scharte in Gedanken bereits die rudimentär
vorhandenen, mit lateinischen und französischen Brocken vermanschten
Italienischkenntnisse um ihr Sprachzentrum.
»Wilma?«, antwortete eine weibliche Stimme mit
fragendem, leicht Tiroler Zungenschlag. »Ich bin’s, Silvana.«
Silvana Sterzinger-Godaj war Palinskis Tochter, das Ergebnis
eines sehr verliebten Sommers vor fast 28 Jahren. Jenem Sommer, der dem
Herbst vorangegangen war, in dem sie den Vater ihrer Kinder kennengelernt
hatte.
Von der Existenz der jungen Frau hatte Mario erst
vor etwa eineinhalb Jahren erfahren. Es war fast wie in einem zweitklassigen
Hollywoodschinken zugegangen, als – falsch, nicht Silvana, sondern ihr
Mann Fritz eines Tages vor der Tür gestanden war und verkündet hatte: »Ich
bin’s, dein Schwiegersohn.« [1]
Silvana war eine hervorragende Köchin und vor allem
eine einzigartige Patisseuse, ein Spross aus der alten weltberühmten
Konditorendynastie der Godajs aus Budapest. Sie hatte bereits alles an Hauben,
Sternen und was immer sonst noch erkocht, was man nur erkochen konnte, und dem
Restaurant des ›Rittener Hofs‹ in der Nähe von Bozen, den sie gemeinsam mit
Fritz führte, in kürzester Zeit einen Platz unter den zehn besten Küchen
Italiens erobert.
»Hallo, Silvana!«, rief ihre
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