Pasta Mortale
besonders devotes Verhalten aufzufallen. »Es soll der Eindruck
entstehen, also ob ich dein wichtigster Gast wäre. Großkotzig, penetrant, von
oben herab, aber der wichtigste. Ein kleiner Streich, den wir dem Russen
spielen wollen«, hatte er gemeint, ohne Weiteres zu erklären.
»Du kannst dich auf mich verlassen«, versicherte Sprossen.
Und Palinski wusste, dass dem so war.
*
Offenbar hatte es sich in ganz Döbling
herumgesprochen, dass heute die Generalprobe zur Döblinger Fledermaus
stattfinden sollte. Zwar noch ohne Fressen und Saufen, aber immerhin in voller
Länge. Der Abend war mild, das Fernsehprogramm immer der gleiche Mist, und wenn
es zu langweilig wurde, war es nicht weit zum nächsten Heurigen.
Bereits um 17 Uhr
fanden sich zahlreiche Menschen im Park ein, packten ihre Picknickkörbe aus und
sorgten für ihr leibliches Wohl. Gegen 18.30 Uhr, das war die Zeit, zu der
die Probe beginnen sollte, war die Zahl nach Schätzungen der Polizei auf
mindestens 200 Menschen angewachsen, die vor der Villa Wertheimstein oder
im benachbarten Park der Dinge harrten, die da noch kommen sollten.
Helmut Ondrasek, der Chef der Theatercompany, wusste nicht
recht, was er von diesem Ansturm halten sollte. Einerseits freute er sich
natürlich über das gewaltige Interesse, das er mit den Worten ›einmalig‹ und
›überwältigend‹ sehr treffend charakterisierte. Andererseits wieder verstellten
die Menschen den gesamten Platz und erschwerten den Schauspieler-Sängern und
dem technischen Personal die ohnehin schwierige Verwandlung von der Probebühne
in die Originalkulisse. Das Gequatsche der Leute, das Kauen, Schlürfen,
Schlucken, Rülpsen und vereinzelt auch Furzen dieser funktionierenden
Organismen überdeckten die erwartungsvolle Stimmung wie ein zäher Brei und
machte den Beginn der Probe fast unmöglich.
Also versuchte Ondrasek es mit dem Zauber der Musik. Auf sein
Zeichen hin begann Miroslav Bredinsky, das Band mit der Ouvertüre zu Johann
Strauß’ Meisterwurf laufen zu lassen. Rasch bildete sich ein faszinierender
Klangbogen, der den Himmel weit über das unmittelbar beschallte Gebiet zwischen
Döblinger Hauptstraße und Heiligenstädter Straße hinaus erfüllte und die
Zuhörer magisch in seinen Bann zog.
Es war schon ein unvergleichliches, ja absurdes Bild. Da
waren die 14 jungen Damen und Herren der Wiener Musikakademie, die sich
als Döblinger Festspielorchester unter der engagierten Leitung ihres
Kommilitonen Franz Barweger die Seele aus dem Leib spielten. Aber eben aussahen
wie 14 Leute, die musizierten. Dazu der machtvolle Klang der aus
112 Musikern bestehenden Krakauer Symphonie, der natürlich jede
Live-Äußerung aus dem Orchestergraben überdeckte.
Angesichts der widersprüchlichen Optik musste Palinski an
einen Zeichentrickfilm aus seiner Jugend denken. In dem war eine Maus
vorgekommen, die plötzlich losgebrüllt hatte wie der legendäre MGM -Löwe. Wie
auch immer, er fand die Musik klasse, und auch den Zuhörern schien sie zu
gefallen, wie der immer wieder spontan aufbrausende Applaus bewies.
Hinter den Kulissen fieberte Gica Lucione seinem Auftritt
entgegen. Als Alfred musste er ja als erster Sänger auf die Bühne.
»Mimimimi«, intonierte er einige Male, um dann gleich auch
noch mehrere »Täubchen, Täubchen, Täubchen« folgen zu lassen. Er zitterte
leicht, während er jedem, dessen er habhaft wurde, versicherte, dass »icke gar
nigte binne nervoso. Mai sono nervoso.«
Dann war es so weit, und Alfredo begann, seine ganz arg
verehrte Rosalinde anzuschmachten. Mit ›Täubchen, das entflattert ist, stille
mein Verlangen‹, wie schon seit mehr als 130 Jahren. Der Kerl war ja
richtig gut, dachte Palinski, der in der Maske des Advokaten Dr. Blind mit
grauer Perücke, Brille, Bart bereits auf seinen Auftritt wartete.
Mit ihm wartete auch die männliche Hauptfigur der Operette,
der reiche Rentier Gabriel Eisenstein auf seinen Einsatz. Der wurde von dem
stimmgewaltigen, aber viel zu dicken, auf gut Wienerisch also ›bladen‹ Karl
Winterberg dargestellt.
Dieser Eisenstein hatte es Palinski als kleines Kind sehr
angetan gehabt, hatte er doch angesichts der etwas skurrilen Berufsbezeichnung
des Mannes zunächst immer an eine Verwandtschaft mit ›red-nosed Rudolph‹
geglaubt. Bis er alt genug war, um Rentier so auszusprechen, wie dies erwartet
wurde, nämlich Rentié.
Und da war er auch schon, der, sein Einsatz.
Am
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