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Pastetenlust

Pastetenlust

Titel: Pastetenlust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Emme
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Ciaucescos gelangt.
    Als er eines Tages am Arbeitsplatz verhaftet worden war,
flüchteten seine Frau, der kleine Bub und seine Schwiegermutter in den Westen.
Das war schon lange vorher für diesen Fall vereinbart worden.
    Die etwas schwächliche Frau hatte sich auf der Flucht eine
schwere Lungenentzündung zugezogen und war kurz nach ihrem Eintreffen im Lager
Friedland verstorben. Das Schicksal des Vaters war ungewiss, angeblich soll er
hingerichtet worden sein.
    „Josefa Willinger ist anfangs 1964 als Putzfrau an unsere
Schule gekommen. Wir haben sie und den kleinen Buben dann auch in unser Haus
aufgenommen.” Die Erinnerung schien Lettenberg zu beleben, plötzlich wirkte er
um zwanzig Jahre jünger. „Ende 1965 war die Adoption durch und wir haben die
ersten Weihnachten mit unserem Jürgen gefeiert.”
    Das war eine Geschichte,
wie sie nur das Leben schrieb, dachte Palinski. Einen Moment überlegt er
ernsthaft, ob er seinen beiden Verlagen zur Abwechslung nicht auch einen
Schicksalsroman anbieten sollte. ›Prüfungen des Lebens‹ oder so was in der Art.
Klang doch gar nicht schlecht.
    Lettenberg war jetzt voll in Fahrt und es tat ihm sichtlich
gut, darüber zu sprechen.
    Nach dem Italienurlaub 1979 sah sich Palinski gezwungen, die
zweifellos interessanten, wenngleich zunehmend auch etwas weitschweifenden
Ausführungen zu unterbrechen.
    „Gestatten Sie mir eine kurze Frage dazwischen. Wie lange
beabsichtigen Sie, in Wien zu bleiben?”, wollte er wissen.
    „Ja, ich denke, ich werde morgen früh wieder heimfahren.”
    „Ich muss Sie jetzt leider verlassen, ich habe noch einen
ganz wichtigen Termin, den ich unmöglich verschieben kann.” Der alte Mann
schien enttäuscht zu sein. „Natürlich, ich verstehe.”
    „Aber ich muss morgen früh nach Frankfurt. Was halten Sie
davon, wenn wir gemeinsam die Frühmaschine nehmen. Das gibt uns noch viel Zeit
zum Sprechen.”
    Der Gedanke schien Lettenberg zu gefallen, aber: „Ich
fürchte, ich kann mir das Flugticket nicht leisten. Ich werde wohl meine
Rückfahrkarte für die Eisenbahn benützen.”
    Was Palinski zu dem veranlasste, was er jetzt tat, wird wohl
nie restlos aufgeklärt werden. „Das macht nichts. Mein Assistent kann mich
wegen einer plötzlichen Erkrankung nicht begleiten. Also, nehmen Sie ganz
einfach sein Ticket. Das setzen wir sowieso von der Steuer ab.”
    „Meinen Sie wirklich?”, der alte Mann strahlte über das ganze
Gesicht. „Wissen Sie, ich bin noch nie in meinem Leben geflogen. Einmal möchte
ich das schon erleben.”
    Auch die Motive, die zu Palinskis nächster Ansage führten,
waren rational nicht nachzuvollziehen.
    „Ich habe um 11 Uhr einen Termin in Frankfurt. Nachmittags
können wir gemeinsam Ihre Frau und Oma Josefa besuchen. Ich würde mich sehr
freuen, die beiden Damen kennen zu lernen.”
    Zum Abschied umarmte der alte Herr Palinski unter Tränen und
murmelte etwas von „Sohn verloren, Sohn gewonnen.” Der wusste zwar nicht, was
er davon halten sollte. Das Gefühl, das er dabei hatte, war aber gar nicht so
schlecht.

     
    *

     
    In seinem Büro erwarteten Palinski einige Anrufe
auf dem dafür vorgesehenen Beantworter, darunter auch einer von Tagenow. Der
dürfte sich aber bereits erledigt haben.
    Außerdem die Anfrage eines Verlages wegen einer Auskunft aus
der Datenbank. Beachtlich, das war bereits die dritte Kontaktaufnahme dieser
Art. Langsam sprach sich das Angebot herum, das Geschäft begann zu laufen.
    Dazwischen drei der unvermeidlichen ›Tom Dooleys‹, so nannte
Palinski die ›Aufgehängten‹, also jene Anrufer, die ihre Ungeduld oder Aversion
gegen elektronische Telefonhilfen zum Ausdruck brachten, in dem sie den Anruf
einfach abbrachen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
    Die letzte Message war von Wallner, der ihn dringend um
Rückruf bat. Ehe Palinski dieser Bitte Folge leistete, trat er ans Fenster und
blickte hoch zu der im gegenüberliegenden Teil des Hauses im dritten Stock
befindlichen Wohnung seiner Familie. Sämtliche Fenster waren finster, kein Mensch
zu Hause. Klar, Harry hatte irgendetwas von einer Fete gesprochen und Tina war
in Zürich. Komisch, früher war so was Party genannt worden und noch früher
Tanzabend. Dank des die TV-Unterhaltung dominierenden Zungenschlages gewann die
deutsch-deutsche Sprache zwar zunehmend Anteile an der Jugendsprache. Doch,
trotz des überbordenden ›Tschüss‹, das sich immer wie eine Nadelspitze in
Palinskis

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