Pastetenlust
wahrlich ein
gestandenes Mannsbild, verschwand neben ihr aus dem Blickwinkel der Betrachter.
Wäre die Witwe nicht in Trauerkleidung gewesen, kein
außenstehender Beobachter der Szene hätte wohl vermutet, dass der Mann der
attraktiven jungen Frau erst vor knapp zwei Tagen gestorben war. Lächelnd
nippte sie an einem Glas Champagner und prostete den beiden Beamten zu, die sich
– Dienst ist Dienst – mit Mineralwasser begnügten. Lediglich ihre Mutter, der
der Schwiegersohn nicht sonderlich nahegestanden war, wahrte die Form und
beschränkte sich auf die unbedingt notwendigen Äußerungen.
Den beiden Beamten schien die Situation mit der aufgekratzten
Trauernden, die den Eindruck erweckte, als ob sie sich auf den Opernball
einstimmen wollte, sichtlich nicht angenehm zu sein. Palinski, mit einer alten Jeanshose und einem
weiten Pullover wieder einmal so was von unpassend bekleidet, baute sich neben
Wallner auf und wartete darauf, vorgestellt zu werden.
„Ist betteln hier herinnen nicht untersagt?”, wunderte sich
Sophie Lettenberg bei Dr. Schneckenburger, wobei sie die eigenartige
Erscheinung neben dem Inspektor musterte. Eine Bemerkung, mit der sie Palinskis
Herz im Sturm eroberte. Der konnte der Versuchung nicht widerstehen, der
arroganten Person eine hineinzuwürgen. Pietät hin oder her. Er drehte sich zur
Witwe und sagte mit leicht verfremdeter Stimme: „Tschuldigen Gnä’ Frau, i kumm
wegn dem Findalohn.”
Während Wallner und Schneckenburger versuchten, ihre aus den
Gleisen zu laufen drohenden Gesichtszüge zu kontrollieren, blickte Sophie
Lettenberg indigniert zu dem in unerhörter Weise in ihre Privatsphäre
eindringenden Subjekt hoch.
„Weswegen kommen Sie hierher?”, sie hatte die Worte zwar
verstanden, verständlicherweise aber nicht deren Bedeutung.
„No ja, i hob di Leich vom sölign Herrn Gemaul gfundn und ma
docht, dafia gibts wos.” Palinski war sich der ungeheuren Geschmacklosigkeit
durchaus bewusst, der er sich eben schuldig gemacht hatte. Der mit stupide noch freundlich umschriebene Blick der Witwe
entschädigte ihn aber schon im Voraus für sämtliche zu erwartenden Konsequenzen
dieses Eklats. Dass sich darüber hinaus der Anflug eines Schmunzelns über das
Gesicht der Mutter zu stehlen schien, empfand er als zusätzlichen, völlig
unerwarteten Bonus.
Das prompt einsetzende,
markdurchdringende Schluchzen der Witwe, das sogar die Mitarbeiter an
der weit entfernten Rezeption aufschrecken ließ, bewies die einmalige
Wandlungsfähigkeit dieser Frau.
„Fort, fort, schaffen Sie mir dieses Ungeheuer aus den
Augen”, plärrte sie so laut los, dass sich einer der in der Halle stationierten
Sicherheitsbeamten erhob und zu dem Tisch geeilt kam. Schneckenburger rettete
die Situation. Zunächst zog er seinen Ausweis und versicherte dem privaten
Ordnungshüter, dass alles in Ordnung sei. Dann stellte er Palinski vor.
Eingedenk der für diesen Fall obersten Direktive seines Ministers, nämlich, die
Sache mit der Kiste ›Chateau Petrus‹ ja nicht zu vergeigen, bediente er sich
allerdings einer kunstvollen, mit einigen dichterischen Freiheiten
angereicherten Verdrehung der Tatsachen.
„Mario Palinski ist unser bester Undercover-Mann. Sein
Einsatz erfolgt im Interesse unseres Herrn Minister, der an einer raschen
Aufklärung der Angelegenheit größtes Interesse hat. Leider ist Herr Palinski
ein schlecht erzogener Spinner. Aber seine kriminalistische Brillanz wird
hoffentlich nicht nur Sie und den Chef überzeugen. Also seien Sie bitte
nachsichtig mit unserem ungehobelten Genie. Meistens ist er ohnehin recht
verträglich.”
Palinski war baff. Diese Mischung aus Charme und
Kaltblütigkeit hätte er Schneckenburger gar nicht zugetraut. Jetzt war es an
ihm, den ausgestreckten Arm, nein, den ausgerollten roten Teppich auch zu
nützen.
„Entschuldigen Sie Madam”, er blickte der Witwe tief in die
unbestreitbar wunderschönen Augen. „Bei Ihrem Anblick ist mir das Herz
übergegangen. Was ich in diesem Moment sagen wollte, verboten mir
Schüchternheit und Anstand. Da ist mir halt dieser kindische Blödsinn über die
Lippen gekommen.” Er lächelte sie an, nahm ihre rechte Hand und führte sie zu
den Lippen. „Ich lege mein Schicksal in Ihre Hände.”
Sophie Lettenberg, die
schon bei den Worten ›Undercover‹, ›Minister‹ und ›Genie‹ in Schneckenburgers
verbalen Husarenritt milder gestimmt worden war, lächelte nachsichtig.
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