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Pastetenlust

Pastetenlust

Titel: Pastetenlust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Emme
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friedlich. Das erste Mal seit gestern
Nachmittag, als er vom Tod seines Sohnes über den Rundfunk erfahren hatte, fand
seine von Kummer zerfressene Seele etwas Ruhe. Aber auch der alte Körper
forderte nach mehr als dreißig rastlosen Stunden sein Recht. Frank Lettenberg
nickte ein.
    Als Palinski eine halbe Stunde später eintraf, fand er den
alten Herrn tief und fest schlafend vor. Hat den Schlaf wohl bitter nötig,
dachte er sich und setzte sich neben ihn auf die Bank. Er wollte ihm noch
einige Minuten Ruhe gönnen.

     
    Ob Wilma wohl auch die ganze Nacht
durchfahren würde, wenn mein Leichnam eines Tages gefunden würde? Oder würde
sie wieder einmal meinen, das wäre auch nur eine Ausrede, um mich vor
irgendwelchen Verpflichtungen zu drücken?

    Die Frage musste wohl lauten, hat sie bereits
abgeschlossen mit mir, akzeptiert mich also nur noch als Vater unserer Kinder
und meinetwegen auch als guten Bekannten oder war da noch mehr? Mit einem guten
Bekannten streitet man doch nicht so viel, oder? Bedeutet das häufig gespannte
Klima zwischen uns in Wahrheit Hoffnung? Also ich bin nicht frei von Gefühlen
für sie, die deutlich jenseits von Kameradschaft sind.

    Morgen muss ich nach
Frankfurt. Falls der Vertrag mit der Produktionsgesellschaft klappen sollte,
bin ich finanziell einigermaßen saniert. Ich kann Wolf Schermann und Frederick
Franklin in den Ruhestand schicken. Dieser Mist geht mir ohnehin schon sehr auf
den Wecker.
    Mehr Zeit für die Familie und den großen Roman, das wäre
schön. Wenn ...

     
    Palinski hatte vergangene Nacht zwar mehr
geschlafen als die Nacht zuvor, aber noch immer nicht genug. Als er knapp zwei
Stunden später von Frank Lettenberg geweckt wurde, fühlte er sich erheblich
frischer.
    „Sie müssen Palinski sein”, stellte der alte Herr freundlich
fest. „Sie haben wohl auch zu wenig Schlaf in den letzten Tagen bekommen?”
    „Tut mir leid, aber ...”, Palinski wollte etwas erklären,
aber Lettenberg klopfte ihm besänftigend auf den Arm. „Das ist schon in
Ordnung”, er lächelte, „immerhin habe ich damit angefangen.”
    Wundersamer Weise stand plötzlich eine Thermoskanne mit
Kaffee auf dem kleinen Gartentisch vor der Bank. Lettenberg schenkte zwei
Tassen voll „Milch und Zucker müssen Sie sich selbst nehmen.”
    Palinski fand den Mann ungemein sympathisch und sog den
belebenden Duft des Genussmittels dankbar ein. „Jetzt geht es mir wieder gut.”
In der speziellen Situation mochte das sonderbar in Lettenbergs Ohren klingen,
darum ergänzte er rasch „zumindest den Umständen entsprechend.”
    Ansatzlos begann der alte Herr zu sprechen. Er erzählte von
seiner Frau, die seit mehr als einem Jahr in einem Pflegeheim war und sich nie
von dem schweren Schlaganfall erholt hatte. „Ich schäme mich heute noch dafür,
dass ich sie nicht zu Hause behalten habe”, gestand er, „aber ich habe es ganz einfach
körperlich nicht mehr geschafft. Dort geht es ihr sehr gut und ich besuche sie
mindestens dreimal in der Woche.”
    „Wie hat Ihre Frau auf diese schlimme Nachricht reagiert?”,
Palinski bemühte sich, möglichst einfühlsam zu formulieren.
    „Ich habe noch nicht den Mut gehabt, es ihr zu sagen”,
Lettenberg schüttelte den Kopf, „die Ärzte meinen, dass man jede Aufregung von
ihr fernhalten muss.”
    „Haben Sie noch andere Kinder?”
    „Nein, Jürgen ist”, er schluckte und korrigierte sich, „war
unser einziges Kind.”
    „Wie sieht es mit sonstigen Verwandten aus?”
    „Da ist nur noch Jürgens Großmutter. Sie lebt in einem
Seniorenstift im Taunus und weiß auch noch nichts. Hoffe ich zumindest, denn
ich möchte nicht, dass sie es aus den Medien erfährt.”
    Palinski schätzte den alten Mann auf jenseits der 75. Falls
seine Frau nicht deutlich jünger war, musste die Oma schon hoch in den
Neunzigern sein.
    „Handelt es sich dabei um Ihre Mutter oder um die Ihrer
Frau?”, forschte Palinski.
    „Weder noch”, Lettenberg amüsierte sich über Palinskis
verdutztes Gesicht. „Wir haben Jürgen adoptiert, da wir keine eigenen Kinder
bekommen konnten. Die Oma haben wir sozusagen gratis dazu bekommen.”
    Jürgens leibliche Eltern waren Auslandsdeutsche aus dem
rumänischen Banat. Sein leiblicher Vater musste ein temperamentvoller Freigeist
gewesen sein, der ständig Probleme mit den Behörden gehabt hatte. Damit war er
schließlich auch in die Schusslinie der Securitate, der gefürchteten
Geheimpolizei

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