Pastetenlust
Wallner verdrehte die Augen. „So einen Besserwisser, der den
Applaus kassiert, wenn wir erfolgreich sind. Aber für die Misserfolge sind
weiter wir zuständig, Ich kenn das schon.”
„Aber dann ist doch noch nicht alles verloren”, Palinski
schöpfte wieder Hoffnung. „Das kann aber doch nicht der einzige Grund für deine
miese Laune sein”?
Wallner druckste noch etwas herum, dann berichtete er dem
Freund von der Verhaftung Marion Waldmeisters. „Wie man sie abgeführt hat, hat
sie mich so eigenartig angesehen. Nicht böse oder zornig, nein traurig, Ich
habe noch nie im Leben so traurige Augen gesehen.” Trotzig und verbittert blickte
er aus dem Fenster. „Aber was hätte ich denn machen sollen? Mit Ihren
Fingerabdrücken am Tatort.”
„Was hat denn die Waldmeister dazu gesagt?”
„Sie hat ihre hervorragend erkennbaren Abdrücke auf dem
Semischledereinband damit erklärt, dass sie Lettenberg das Notizbuch
nachgetragen habe. Er hätte es bei ihr liegen gelassen.”
„Na, das klingt doch ganz plausibel”, Palinski versuchte, dem
geknickten Freund etwas Hoffnung zu machen. Andererseits, die einzige Person,
die diese Erklärung bestätigen hätte können, lag im gerichtsmedizinischen
Institut auf Eis.
„Und wie schaut es mit anderen Fingerabdrücken aus, auf den
Gläsern, am Aschenbecher und so weiter?” Palinski musste den Liebeskranken aus
seiner Trübsal holen, ihn wieder an seine professionelle Pflicht erinnern.
„Nichts, alles sauber, abgewischt. Sehr überlegt”, entgegnete
Wallner. „Das Notizbuch wurde aber übersehen, weil es unter das Bett gerutscht
ist.” Palinski fiel auf, dass der Inspektor die neutrale Formulierung verwendet
hatte. Er selbst glaubte eigentlich auch nicht an die Schuld der durchaus
sympathischen Marion. Sie war zwar nicht sein Typ, aber er konnte Wallner
durchaus verstehen.
„Trotzdem sieht das Ganze ein wenig so aus, als ob man eine
Schuldige präsentieren möchte. Das Beste wird sein, wir suchen einfach mit
Nachdruck weiter, bis wir den wahren Täter haben. Oder alle anderen
Möglichkeiten ausschließen müssen.”
„Du hast recht”, Wallner schien sich wieder etwas gefangen zu
haben. „Wenn Marion unschuldig ist, werden wir das beweisen. Falls nicht“,
fügte er zögernd hinzu,»dann habe ich später noch genug Zeit, mit meinem Frust
fertig zu werden.”
Palinski lehnte sich zurück und schloss die Augen. Wallner
beobachtete ihn einige Minuten, dann machte er sich bemerkbar. „Hallo Mario,
jetzt ist keine Zeit für einen Schönheitsschlaf. Auf, auf, an die Ruder.”
Wenigstens versucht er schon wieder, lustig zu sein, freute
sich Palinski und hielt das für ein gutes Zeichen. „Ich schlafe nicht, ich
denke nach”, korrigierte er den falschen Eindruck.
„Seit gestern versuche ich immer wieder, mir die nächtliche
Situation im Hof vor Augen zu rufen. Je öfter ich das tue, desto sicherer bin
ich, dass da noch jemand war. Ein Mann oder auch eine zweite Frau. Lettenberg
wog mindestens 80 Kilogramm. Marion Waldmeister scheint zwar durchaus eine
kräftige Frau zu sein, aber die Leiche alleine aus dem 4. Stock in den Hof zu
bringen, das schafft wahrscheinlich nicht einmal dein Kollege Fissner.” Der
machte in Bodybuilding, war 1,93 groß und wog an die 120 Kilogramm.
„Und was ist mit dem Kerl, den ich am Abend vorher bei ›Mama
Maria‹ gesehen habe. Von dem ich zunächst angenommen habe, dass er der Tote
ist. Bevor ihm die Perücke heruntergerutscht ist.”
Wallner nickte „Der wird schon gesucht. Wir haben anhand des
einen Fotos von der verkleideten Leiche ein Phantombild angefertigt. Falls er
keine Wohnung in Wien hat, sollten wir ihn bald haben. Sechs Beamte sind
unterwegs, um sämtliche Hotels, Pensionen und die Nachtlokale abzuklappern.”
„Das hat dir dein Chef genehmigt?”, wunderte sich Palinski,
der immer wieder vom Personalmangel bei der Polizei hörte.
„Offiziell sind es nur zwei. Die anderen schulden mir einen
Gefallen und machen das in ihrer Freizeit.”
Gott muss Liebe schön sein, dachte Palinski. Aber es ist
schon aus viel schlechteren Motiven mehr gearbeitet worden. Viva l’amore.
Jetzt
war es an der Zeit, mit seinen Neuigkeiten
herauszurücken. Gerade wollte er vom Anruf des
alten Lettenberg berichten, als ein mit dreiteiligem Nadelstreifenanzug,
maßgeschneidertem Hemd mit Monogramm und Herméskrawatte teuer und überaus
korrekt gekleideter Mann das Café betrat. Der
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