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Pastworld

Pastworld

Titel: Pastworld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Beck
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Umhang, bauschte ihn auf und wirbelte ihn um seinen Körper. Er nahm die Tasche von seiner Schulter und stellte sie zu seinen Füßen ab, dann zog er eine goldene Uhr aus der Weste und sah nach, wie spät es war. Abwartend beobachtete er den Minutenzeiger -gleich müsste die künstliche Sonne hinter den Wolken aufgehen.
    Tief da unten, unter dem Gewirr der Straßen, dem Kopfsteinpflaster und den Steinen, erwachten die geheimen Systeme, die die Stadt belebten, und auf die Sekunde genau wurde der Himmel heller.
    Im geeigneten Moment nahm das Phantom etwas aus der Tasche zu seinen Füßen und richtete sich hoch auf. Er hielt das Ding überaus sorgsam fest, damit sie Zeit hatten, es zu sehen, denn mit Sicherheit würden sie ihn jetzt beobachten. Dann hob er die Hände und legte den abgetrennten Kopf auf den Eisenträger über ihm, sodass das im Blut festgefrorene Grinsen nach vorn zeigte. Er hängte sich die Tasche wieder über die Schulter und kletterte, während seine hoch aufgerichtete Gestalt vom Gegenlicht beschienen wurde, vorsichtig das letzte Stück zur Spitze der kaputten Kuppel hinauf. Widerwillig bewunderte er die Schönheit des perfekten Sonnenaufgangs. Er betrachtete die Vögel, die über dem Fluss schwebten, und das Panorama der gesamten Stadt. Mit seinen meerblauen Augen und dem scharfen Blick hinter seiner Maske nahm das Phantom alles genau in sich auf.
    Er erhob die Arme und breitete sie weit aus. Laut sagte er: »Ach, du armer Yorick«, und lachte und dann zählte er leise im perfekten Sekundentakt: »Einmal tausend, zweimal tausend, dreimal tausend«, und so weiter, genau wie es ihm einst beigebracht worden war.
    Als er bei der Zahl Zehn angekommen war und als perfekte Silhouette vor der Kugel der hellen, soeben aufgegangenen elektrischen Sonne stand, machte er einen großen Schritt vom Gerüst der Kuppel ins Leere und stürzte im freien Fall durch die kalte Morgenluft …

5
     
    Auf einem der belebten Marktplätze setzte sich ein Zirkuswagen in Bewegung und bog in die Durchgangsstraße ab. Ein tuberkulös aussehender, zerlumpter Mann mit langem Hals und dünnen Beinen erhob sich aus einer kalten, nassen Schneepfütze. Er war ganz dicht an sein Opfer herangekommen, so dicht, dass er es tatsächlich berührt hatte. Wie eine triefende, schmutzige Vogelscheuche wankte er zurück zu der warm gekleideten und überwiegend gleichgültigen Menge. Ein paar Leute lachten, als er vorbeiging. Einige versuchten sogar, ihm Münzen zuzustecken. Es hatte ihnen gefallen, wie der Zauberer ihn reingelegt hatte.
    Der zerlumpte Mann hatte nicht die Absicht, sein Leben zu beenden, indem er sich, wie andere vor ihm, in Stücke hacken und sein Herz herausreißen ließ. Er musste eine schwierige Entscheidung treffen. Er hatte die Wahl, entweder jetzt sofort zu berichten, dass er sie gesehen hatte, und zu warten, bis seine Botschaft die Hierarchieleiter hinaufgewandert war, oder er konnte zu der Stelle zurücklaufen, an der er sie zuerst gesehen hatte. Dort wäre, wie er vermutete, seine Chance groß, dass er das zweite Opfer, ihren Vormund, finden könnte.
    Es war kalt und er fröstelte beim Gehen. Seine nassen Lumpen hingen schwer an ihm herunter. Dabei hatte er Glück, dass seine zerschlissenen Stiefel gerade noch wasserfest waren. Falls er den Vormund zu fassen bekäme, wäre sicherlich eine Belohnung für ihn drin. Vielleicht nicht der erste Preis, aber immerhin. Sie war ganz allein unterwegs gewesen. Würde das nicht bedeuten, dass der Vormund auf der Suche nach ihr wäre oder wenigstens irgendwie Alarm geschlagen hätte? Noch besser wäre es natürlich, wenn sie zurückkäme. In diesem Fall würde er sich das Mädchen schnappen und den Vormund dazu, gleich an Ort und Stelle. Ganz einfach.
    Der Stand des Pastetenverkäufers war nicht weit von dem roten Briefkasten entfernt, wo er sie zuerst gesehen hatte. Er machte sich nun ohne Umschweife auf den Weg dorthin. Er war verbittert über die Art und Weise, wie man ihm seine Beute genommen hatte, nachdem er so nah dran gewesen war – und dann auch noch durch einen billigen Zaubertrick! Er würde den Zauberer jederzeit ohne Probleme wiedererkennen und wenn er ihn irgendwo zu Gesicht bekäme, würde er ihn fertigmachen.
    Schließlich kam er beim Briefkasten an, der halb unter einer frischen Schneedecke verborgen war. Auf der anderen Straßenseite lagen einige bereits geschlossene Geschäfte, deren Schaufenster teilweise mit Schleifen dekoriert waren. Alle waren mit wunderbaren

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