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Pastworld

Pastworld

Titel: Pastworld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Beck
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verwirrt, »bis gestern in den Räumen über einem Laden.«
    »Das mag zum Teil zutreffen«, sagte er.
    »Zum Teil? Und wie lautet die ganze Wahrheit?«, wollte ich wissen.
    »Die ganze Wahrheit lautet, Eve, dass, während du und ich hier in London sind, in der alten City von London, dieses London kein realer Ort mehr ist, oder?«
    »Nicht? Was bedeutet das, wie meinst du das?«, fragte ich verblüfft.
    »Weil man es vor einigen Jahren zu einem Museum gemacht hat, einem sogenannten ›Themenpark‹. Die gesamte City und alles, was dazu gehört, bis an den äußersten Rand, ist eine wiederaufgebaute, restaurierte Nachbildung ihrer eigenen Vergangenheit. Sie ist jetzt nur noch eine Illusion – eine Erinnerung an die Stadt, die es früher mal gegeben hat. Leute wie wir verbringen hier unser Leben. Wir leben so wie früher und andere Leute bezahlen dafür, dass sie uns zusehen können, wie wir in der Vergangenheit leben, damit sie selbst die Vergangenheit erleben können, als hätten sie eine Zeitreise gemacht. Du hast doch sicher auf den Seiten der Luftschiffe überall den Buckland Schriftzug gesehen, oder?«
    »Natürlich«, sagte ich unsicher und mir war ganz schwindelig von dem, was ich hörte.
    »Die Buckland Corporation ist der Besitzer dieses Ortes und unterhält ihn; sie organisieren diese zahlenden Gäste‹, wie sie es nennen – wir nennen sie lieber Gaffer –, die Besucher, die mit den Luftschiffen kommen.«
    Mir schwirrte der Kopf. Ich sollte in einem historischen Anachronismus leben? Ich sollte an einem Ort gelebt haben, der ein »Themenpark« war?
    »Die ganze Stadt hier wird Pastworld genannt«, sagte er, »Pastworld-London, und die Leute bezahlen einen Haufen Geld, um hierherzukommen und das Schöne und das Heruntergekommene zu erleben, den Schmutz, die Gefahr, die Wirklichkeit des viktorianischen Lebens, wie es früher einmal gewesen ist.«
    Ich war total durcheinander. »Du meinst, wir sind gar keine richtigen Viktorianer?«
    »Nein, Eve, wir leben in einem sehr viel späteren Zeitalter als 1880. Außerhalb von Pastworld, außerhalb von diesem Ort, außerhalb der Kuppel, die ihn umschließt, ist es das Jahr 2048 und jene Welt ist sehr, sehr anders als diese hier.«
    »Ich verstehe es nicht«, sagte ich. »Warum ist das so?«
    »Wenn es dich tröstet, Eve, du bist nicht die Einzige. Es gibt viele wie dich hier, Leute, die hier geboren wurden, in die Armut und die Unwissenheit hinein, auch sie haben keine Ahnung, dass das hier nicht die wirkliche Welt ist. Obwohl es in vielerlei Hinsicht für sie und auch für uns die wirkliche Welt ist, irgendwie.«
    »Ich bin kein Kind mehr«, sagte ich. »Warum hat mein Vormund mir überhaupt nichts von all dem erzählt? Warum?«
    »Ich habe keine Ahnung, ich vermute mal, dass er seine Gründe hatte, Eve. Vielleicht wollte er dich aus irgendeinem Grund vor der Wahrheit beschützen.«
    Wir ratterten über das Kopfsteinpflaster und mir war ganz elend zumute, als ich versuchte, mit dem Gehörten fertig zu werden. Auf irgendeine Art und Weise ergab alles einen Sinn. Mein seltsames Leben, mein Mangel an Erinnerungen. Ich war eine leere Hülle, wie ein Ausstellungsstück, eine Wachsfigur, ohne ein eigenes Leben, ausgestellt in einem Museum. Warum hatte Jack mir nie die Wahrheit erzählt, wovor hatte er Angst gehabt?
    Nach einer Weile verzog sich der Nebel, er schwebte einfach davon und plötzlich konnte man klar und deutlich die leuchtenden Sterne über uns sehen. Um mich abzulenken, zeigte Jago mir die Sternbilder.
    »Das da ist Orion, der Jäger.«
    »Ich weiß«, sagte ich, »diese drei Sterne da hintereinander sind sein Gürtel, die Sterne auf der Außenseite sind die Spitze seines Bogens und da ist Beteigeuze, einer der hellsten Sterne, die man am Nachthimmel sehen kann.«
    »Du kennst dich mit Sternen gut aus«, sagte Jago. »So als wär’s der echte Himmel.«
    »Du meinst, der Himmel ist auch nicht echt?«
    »Projektionen auf einer riesigen Kuppel«, sagte er ruhig.
    Plötzlich schoss mir ein seltsamer, unheimlicher Gedanke durch den Kopf.
    »Also habe ich noch nie den echten Himmel gesehen«, sagte ich, »weder bei Tag noch bei Nacht.«
    Wir sahen zu, wie die Sterne zwischen all den Gebäuden und den gezackten Dächern auftauchten und wieder verschwanden. Es war kalt geworden und ich konnte meinen Atem sehen.
    Wir kamen an einem Straßenkehrer vorbei, der die dünne Schneedecke mit einem Reisigbesen zusammenfegte, ansonsten erschien die gepflegte,

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