Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pastworld

Pastworld

Titel: Pastworld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Beck
Vom Netzwerk:
selbst kaum wieder.
    Sein Vater weckte ihn früh. »Authentisches Frühstück«, sagte er.
    Die Morgenzeitungen lagen fächerförmig ausgebreitet auf einem Beistelltisch. Calebs Vater ignorierte sie und löffelte eine Schale Porridge. Caleb nahm sich einen London Mercury. Die Titelseite zeigte eine dramatische Zeichnung eines finster dreinblickenden Mannes im Umhang, mit Zylinder und schwarzer Maske. Caleb hielt seinem Vater die Abbildung hin und las die Bildunterschrift laut vor. »Hier steht: Das Phantom ist wieder da. In Shoreditch wurde ein neues Opfer gefunden, mit abgetrennten Gliedmaßen und ohne Kopf. Der Kopf wurde später oben auf einem Gebäude gefunden, dessen öffentlicher Abriss demnächst bevorsteht.«
    Nervös blickte sein Vater auf und versuchte, Caleb von diesem Thema abzulenken. »Das Phantom«, sagte er, »wird sich zweifellos als Schauspieler herausstellen, der wie all die anderen für die Corporation arbeitet. Das ist doch alles ein bisschen billig, oder nicht?«
    »Aufhängen wäre noch zu gut für ihn«, sagte Mrs Bullock, als sie hereinrauschte und schaudernd auf die Abbildung sah. Sie stellte zwei Teller mit Eiern und Schinken vor sie hin. »Es heißt, er habe Banken ausgeraubt, als ob das nicht schon schlimm genug wäre, aber jetzt ist es noch viel schlimmer. Man sagt, er reißt ihnen die Herzen heraus und so etwas.« Sie fuhr zusammen und bot ihnen dann eine frische Kanne Tee und ein paar weitere Scheiben Toast an.

11
     
    Am Nachmittag desselben Tages stand Caleb am Fenster des oberen Wohnzimmers seiner Pension. Sein neuer, frisch geschneiderter Anzug schmiegte sich eng um seinen dünnen Körper. Er sah elegant aus, wie ein junger städtischer Herr oder ein »Lackaffe«, wie man sie nannte. Er stand so still da wie eine der Sunderland-Porzellanfiguren auf dem Kaminsims und beobachtete seinen Vater, der sich hinter ihm im Badezimmer mit seiner eigenen Kleidung abmühte.
    »Also, ich bin fertig«, sagte Lucius, als er schließlich durch die Verbindungstür trat. »Dreh dich mal um, Caleb, lass mich dich ansehen.«
    Caleb wandte sich vom Fenster ab und sein Vater schnappte nach Luft. Es schien Caleb, als hätte sein Vater soeben einen echten Geist gesehen und einen plötzlichen Schock des Wiedererkennens erlitten. In seinem strengen schwarzen Anzug, mit dem hohen weißen Kragen und den blitzenden meerblauen Augen sah Caleb auf einmal wie ein ganz anderer Mensch aus.
    »Was ist denn«, sagte Caleb, »was ist los?«
    »Nichts, mein Junge, überhaupt nichts«, sagte sein Vater. »Tut mir leid, aber einen Augenblick lang hast du mich an jemanden erinnert, das ist alles.«
    Es klopfte laut an der Haustür und einen Moment später rief Mrs Bullock die Treppe hinauf: »Die Droschke ist da, Mr Brown.«
    »Danke«, rief Lucius nach unten. »Komm jetzt, Caleb, beweg dich. Gleich werden wir mit einem dampfbetriebenen Zug fahren, vielleicht wird dir das Spaß machen.« Er rieb sich die Hände, als wäre er entzückt von dieser Aussicht, aber Caleb entging nicht, dass sein Vater immer noch einen unruhigen, ängstlichen Ausdruck in den Augen hatte.
    Vor dem örtlichen Bahnhof Highbury Corner konnte Caleb beobachten, wie eine Stadt funktionierte, die von Pferdestärken abhängig war. Kutschen und Zugpferde waren an der Kreuzung aufgereiht. Bis jetzt hatte Caleb kaum jemals ein echtes Pferd gesehen und hier gab es gleich Dutzende von ihnen. Sie dampften, sie stampften, sie schüttelten die Köpfe und versprühten klebrige Speichelfäden. Sie urinierten und ließen ihre Exkremente fallen, wo immer sie standen oder gingen. Sie zogen die Lippen auseinander und entblößten ihre großen Zähne. Selbst wenn sie warteten, standen sie nicht still, sondern ruckten vorwärts oder scharrten mit ihren Hufen über das Kopfsteinpflaster. Besser, man ging nicht allzu dicht an sie heran.
    Sie saßen in einer der vielen retromäßig eingerichteten Vorortdampfeisenbahnen. Für Caleb war es die erste Reise dieser Art und er fand es komisch, so langsam zu reisen. Er empfand den Zug nicht nur als laut, sondern auch als aufregend aggressiv. Als die Häuser an ihnen vorüberzogen, holte Caleb tief Luft und schmeckte die Dampfschwaden und dunklen Rußpartikel, die durch das halb geöffnete Fenster in ihr Abteil geflogen kamen.
    Sein Vater holte ihn aus seinen Gedanken. Durch das beschlagene Fenster hatte er einen flüchtigen Blick auf den schlammigen Fluss erhascht. Er beugte sich vor, rieb ein Stück der Scheibe frei und zeigte

Weitere Kostenlose Bücher