Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pastworld

Pastworld

Titel: Pastworld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Beck
Vom Netzwerk:
bist«, sagte Jago. »Ich könnte dich aber genauso gut dahin zurückbringen, wo du hergekommen bist, wenn dir das lieber ist.« Er griff zu mir herüber und drückte mein Handgelenk. Seine dünne Hand war kalt, fühlte sich aber sehr stark an.
    »Ich habe noch nie in meinem Leben getanzt«, sagte ich und fuhr zu meiner eigenen Überraschung fort: »Aber ich würde schrecklich gern tanzen. Ich bin noch nie über ein Seil gelaufen, aber ich würde schrecklich gern über ein Seil laufen.«
    »Nun, dann soll es wohl so sein«, sagte Jago lächelnd und erneut trieb er das Pferd mit einem Schnalzen an.
    Ich saß neben Jago und blickte auf die Gebäude, an denen wir vorüberfuhren. Alle hätten dringend eine Renovierung nötig gehabt, die meisten waren halbe Ruinen. Der größte Teil der Straßenlaternen war nicht entzündet und es gab keinerlei Anzeichen von Leben.
    »Es ist sehr dunkel«, sagte ich.
    »Wir sind abseits der normalen Wege, auf einer nicht überwachten, nicht gekennzeichneten Route. Eins der Schlupflöcher in der perfekten Fassade, Schlupflöcher, die wir gern benutzen. Dieses Gebiet hier wird erst noch fertiggestellt oder wieder aufgebaut, wie immer die Corporation es auch nennen mag. Sieht trostlos aus, nicht wahr, aber mach dir keine Sorgen, wir sind in Sicherheit. Ich mag ja dünn sein, aber ich bin fit und stark und außerdem gut bewaffnet.« Er klopfte auf den Sitz neben uns, woraus ich schloss, dass er darunter eine Waffe versteckt hatte.
    »Jack, mein Vormund, hat mir nie etwas über diesen Ort hier erzählt«, sagte ich. »Er hat mich weitestgehend drinnenbehalten und wenn wir ausgingen, dann immer gemeinsam. Ich dachte die ganze Zeit, dass wir in London unter der Regentschaft von Königin Victoria leben.«
    Jago lächelte. »Nicht weit von der Stadt entfernt gibt es noch mehr ungekennzeichnete Orte, mit dichtem Gebüsch, Dickicht und tiefen Wäldern. Wir fahren manchmal hin, um unter den echten Bäumen echte frische Luft atmen zu können.«
    Nichts, was er erzählte, erklärte mir, warum Jack in den vielen Jahren unseres gemeinsamen ruhigen Lebens nie auch nur mit einem Wort auf all das eingegangen war. Ich hatte die Welt, in der ich lebte, als die einzig wirkliche Welt akzeptiert, was sie für mich ja auch war. Aber warum hatte Jack mich versteckt gehalten? Jago wusste keine Antwort darauf. Für ihn hörte sich Jack exzentrisch an, vielleicht sogar ein bisschen verrückt.
    Warum sollte jemand ein junges Mädchen in einer Dachstube verstecken und ihr verheimlichen, wo sie sich in Wirklichkeit befand?
    »Komm, wach auf, du Schlafmütze.« Das war Jagos Stimme.
    Ich war in einem Traum gefangen gewesen, in dem ich auf einer großen Welle aus roter Seide hoch in der Luft schwebte, auf einem Tuch, das sich über den gesamten Nachthimmel erstreckte. Die Zeltplane wurde geöffnet. Graues Licht fiel herein. Es war kalt. Ich sollte die »Familie« kennenlernen. Die Wärme aus dem Inneren des Wagens entwich nach draußen wie ein Atemzug in frostiger Luft. Schnee fiel in dicken weißen Flocken. Ich kletterte aus dem Wagen. Fröstelnd stand ich da und wunderte mich über den Schnee, fragte mich, wie er gemacht wurde und wie hoch die Kuppel wohl sein mochte, die uns umgab. Die Nacht hatten wir auf einem Platz verbracht, der so ähnlich aussah wie der große Markt in Farringdon, aber hier standen die Gebäude leer und waren halb zerstört. Die Fensterscheiben waren zerbrochen und alte, zerrissene Vorhänge wehten in den leeren Rahmen. Unser Wagen war nur einer von vielen, die in einem lockeren Halbkreis zusammenstanden; die Pferde dampften in der kalten Luft. Jago war zu einer Gruppe hinübergegangen, die lachend beieinanderstand, und alle hatten einen Becher in der Hand, in dem, wie ich hoffte, guter heißer Tee war.
    In der Gruppe stand eine riesige, knallrot gekleidete Frau und neben ihr ein ebenso riesiger Mann, der in eine Tunika aus Leopardenfell gehüllt war. Seine Arme waren so dick wie anderer Leute Beine. Zwischen ihnen stand ein winziger Mann auf einem Fass, der nur ein Drittel so groß war wie ich. Er trug ein riesiges Paar Schuhe – sie waren mindestens sechzig Zentimeter lang – und als er mit den anderen schwatzte und lachte, richtete er sich auf und stellte sich so hoch auf die Zehenspitzen, dass er ihre Köpfe überragte.
    »Komm her und lerne alle kennen, Eve. Es gibt auch Frühstück«, sagte Jago.
    Ich ging hinüber und stellte mich zu einer Gruppe merkwürdig aussehender Menschen. Eine

Weitere Kostenlose Bücher