Pastworld
einen kurzen Blick hinter sich und sah, dass ein anderer zerlumpter Mann ihm auf den Fersen war. Entschlossen rannte er weiter.
Caleb war des Mordes bezichtigt worden und darauf stand ganz gewiss die Todesstrafe. Er könnte gehängt werden! Unabhängig davon, ob ihn die zerlumpten Männer, die hinter ihm her waren, einholten oder auch nicht, schließlich würde man ihn doch einsperren. Er fühlte schon den Strick um den Hals, das Messer an seiner Brust, als er weiterrannte.
Er lief, so schnell er konnte und es ihm gegen die Flut der Fußgänger möglich war. Er rannte im Regen den Hügel hinunter, zurück zu der langen, leeren, kurvigen Straße, in der sich die Nischen, die dunklen Verstecke und Eisenbahnarkaden befanden. Er schaute kurz über seine Schulter. Seine Verfolger waren noch nicht um die Ecke herumgekommen. Ruckartig blieb er stehen und kam auf dem nassen Asphalt ins Rutschen. Stolpernd drehte er sich um und drückte sich in eine der tiefen, dunklen Ziegelarkaden. Er hielt kurz den Atem an, als drei zerlumpte Männer auftauchten, legte die Hände auf die Knie und versuchte, so leise wie möglich zu atmen, als sie vorüberliefen. Zwei von ihnen rannten an seinem Versteck vorbei, ohne auch nur einen Blick hineinzuwerfen. Ein weiterer folgte ihnen, blieb stehen und drehte sich um. Er spähte in den dunklen Torweg. Dann machte er einen Schritt nach vorn, bückte sich und kroch tiefer in die feuchte Dunkelheit hinein. Einen Augenblick lang sah Caleb seinen Umriss gegen das schwache Licht, das vom Eingang her schien. Dann kam die Gestalt im Dämmerlicht direkt auf Caleb zu, der mit angehaltenem Atem und geballten Fäusten dastand. Mit kleinen, vorsichtigen Schritten schlich Caleb weiter nach hinten, wobei er seine Füße so leise wie möglich auf das nasse Kopfsteinpflaster aufsetzte. Hinter ihm verbreiterte sich der Torweg zu einer Art Zugangstunnel mit einer niedrigen Decke aus nassen, moosbewachsenen Ziegelsteinen. Er tastete sich an der schlüpfrigen Wand langsam weiter rückwärts. Je tiefer er ins Dunkel gelangte, desto mehr musste er den Kopf einziehen. Als er in der Tunnelwand eine Nische ertastete, schlüpfte er hinein und kauerte sich auf dem Boden zusammen.
Dort wartete er mit klopfendem Herzen. Mit geschlossenen Augen versuchte er, seine Gedanken zu sammeln. Er zählte im Kopf und dann zählte er noch einmal von vorn. Er hörte das Schnaufen und die Schritte des Verfolgers, der den hohlen Torweg erforschte. Er hörte ein Kratzen und wie etwas gegen die Wände geworfen wurde.
»Komm raus, du kleiner totenköpfiger Scheißer. Es war besser für dich, wenn du dich gleich ergeben würdest und ich dich nicht suchen müsste.« Es war die Stimme des kräftigen, jungen, zerlumpten Mannes mit dem Schirm.
Calebs Atem wurde langsam ruhiger. Er lauschte dem Geräusch des kondensierten Wassers, das von der niedrigen Decke über seinem Kopf tropfte. Er hielt die Augen geschlossen. Er hatte Angst, den zerlumpten jungen Mann unter seinem zerfetzten Schirm unmittelbar vor ihm stehen zu sehen, sobald er die Augen aufschlug – geduldig wartend wie eine Katze vor dem Mauseloch, um ihn zu töten. Solange er die Augen fest zukniff, konnte er weder gesehen noch gefunden werden. Es war ein verrückter, irrationaler Gedanke, aber er hielt genauso närrisch an ihm fest wie sein armer Vater an der Vorstellung festgehalten hatte, dass ihm sein innerer Kompass immer und überall den richtigen Weg weisen würde. Er hörte, wie das, was er für den Schirm hielt, gegen die Wände in seiner Nähe kratzte, schlug und stocherte. Er hörte, wie die harte eiserne Spitze des Schirms – kratz kratz kratz – über die Ziegelsteine über seinem Kopf fuhr. Dass er sich so tief in die Nische zurückgezogen hatte, war seine Rettung. Er vernahm, wie die Schritte über das Kopfsteinpflaster schlappten und schlurften und sich allmählich entfernten. Dann wurde es still.
Caleb blieb eine sehr lange Zeit an die feuchten Ziegelwände gepresst hocken. Er hatte keine Ahnung, wo er hinsollte, an wen er sich wenden könnte. Er hatte keine Freunde in dieser ganzen riesigen, dunklen, schmutzigen, vollgestopften, falschen Stadt. Caleb stellte entsetzt fest, dass er nicht mal die Adresse kannte, wo die Halloweenparty stattfand. Er hatte weder der gravierten Einladung Beachtung geschenkt noch der Prahlerei seines Vaters vor Mrs Bullock. Ihre Pension war meilenweit entfernt in Islington. Er hatte nur sehr verschwommene Vorstellungen davon, wie er
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