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Pastworld

Pastworld

Titel: Pastworld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Beck
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dahin zurückfinden könnte, und die beinhalteten die Eisenbahn. Der Bahnhof war nicht weit weg, aber er wusste, dass die zerlumpten Männer am Eingang nach ihm Ausschau halten würden. Für sie lag es auf der Hand, dass er dort auftauchen könnte, deshalb kam diese Möglichkeit für ihn nicht infrage.
    Er stand auf und streckte sich. Tausend Gedanken und Gefühle schwirrten ihm durch den Kopf. Er dachte an Verbrecher wie das »Phantom«. Pastworld war bekannt für den Einsatz von Rasier- und anderen Messern. Selbst sein Vater, ein ehemals wichtiger Angestellter der Buckland Corp., ein sogenannter »Imagineur«, hatte sich nicht selbst schützen können. Sein Vater war nun nicht mehr als ein weiterer Bestandteil einer brutalen Pastworld-Statistik. Sehr wahrscheinlich war er tot und lag mit ausgeraubten Taschen ausgestreckt auf dem Rücken.
    Kein Mensch wusste, wo Caleb sich augenblicklich befand. Plötzlich überkam ihn ein schmerzliches, ungesundes Gefühl der Freiheit, als wäre ihm eine schwere Last von den Schultern genommen worden.
    Hörbar schnappte er nach Luft, als wolle er sich von der gesamten Anspannung und den Gefühlen der letzten Stunde auf einmal befreien. Er lehnte sich gegen den Ziegelbogen. Er war frei, seinem alten Leben zu entfliehen, wenn er das wollte. Schließlich und endlich war er seinem überverplanten, überbehüteten und überregulierten Dasein entkommen. Er könnte hier leben, sich in all dem dunklen, nebligen Chaos verstecken, fliehen, wie es vermutlich viele andere vor ihm getan hatten. Er war frei, sich ganz nach seinen Wünschen neu zu erfinden. Nicht mehr länger ein Junge aus den Vororten sein! Er könnte ein Abenteurer werden, ein Soldat, ein Dieb, ein heimlicher Mörder, der auf Rache aus war. Es waren verwirrende und aufwühlende Gedanken, die in Höchstgeschwindigkeit und unbewusst irgendwo tief in seinem Hinterkopf herumschwirrten. Sie tauchten auf und vermischten sich mit dem Schock und dem Entsetzen über all das, was er gesehen hatte.
    Alles, was ihm jetzt noch geblieben war, waren die Kleidung, die er am Leib trug, die Sammlung schwerer Münzen in seiner Tasche und die verrostete Taschenuhr des armen blinden Mannes. Sie hing immer noch an dem Stück schmutziger Schnur und erst jetzt merkte er, dass er sie fest umklammert in der Hand hielt. Er bewegte sich näher an den Eingang heran, wo es ein wenig heller war. Er starrte die Uhr an. Der Glasdeckel war entfernt worden, damit der Blinde die Zeiger ertasten und die Zeit ablesen konnte. Caleb hielt die Uhr ins Licht. Er lauschte, sie tickte noch, und dann drehte er sie um. Etwas war auf die Rückseite der Uhr eingraviert. Caleb versuchte, es im Dämmerlicht zu lesen. Er spuckte auf seinen Finger und fuhr damit über das silbrige Metall. In feiner, gestochener Schrift standen da die Worte:
    In Dankbarkeit
    für Lucius Brown
    überreicht von der
    Buckland Corporation,
    19. Februar 2032
     
    Diese Uhr hatte einmal seinem Vater gehört.

17
     
    Das Phantom blickte auf die Leiche auf dem großen runden Metalltisch. Der Körper war entkleidet und flüchtig mit einer Art Desinfektionsmittel gewaschen worden. Arme und Beine waren, wie er es befohlen hatte, nach der berühmten Zeichnung des vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci ausgestreckt. Fast nervös trat er an den Tisch heran. Er war halb darauf gefasst, dass Jack, ein ihm äußerst vertrauter Mensch, sich aufsetzte und etwas zu ihm sagte, ihn vielleicht an seine so sorgfältig einstudierten Nummern erinnerte.
    »Bist du es wirklich, Jack?«, fragte er leise. Er stand direkt über der Leiche, in der Nähe des Kopfes. »Auf was für ein Chaos hast du dich da eingelassen. Wie ich höre, hast du in der letzten Zeit nicht mehr gut sehen können.« Er hielt inne, als könnte die Leiche mit der vertrauten, rauen Stimme antworten. »Ich dachte, du wolltest etwas sagen.« Schnell holte er ein Rasiermesser hervor, schnitt die Kehle durch und hätte beinahe den Kopf abgetrennt. Es blutete nur wenig.
    Jetzt umgab ihn nur noch Stille.
    Er legte das Messer beiseite. Seine Reisetasche mit all seinen sonstigen Instrumenten stand auf einem Seitentisch, eine helle Öllampe hing an einem Haken und schien wie Mondlicht auf das bleiche, tote Fleisch. Er bemerkte die deutlich sichtbaren Brandnarben auf den Händen und den Unterarmen und überall auf dem aufgedunsenen Oberkörper. Die Haut sah so dunkel und ledrig aus wie eine zu lange gebratene Lammkeule.
    »Ts ts«, sagte er, »das wird

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