Pastworld
Flocken, Schillinge?«, fragte BibleMac und lächelte sein großes, freundliches, gewinnendes Lächeln.
Plötzlich steckte der Junge wie in Trance die Hand in die Hosentasche und zog eine ganze Handvoll Münzen heraus, ein schwerer Berg aus Kupfer und Silber, der auf seiner Handfläche lag.
BibleMac stieß einen leisen Pfiff aus. »Das ist ja’n Ding«, sagte er. »Wie viel hast du davon? Du und ich, wir könnten ’ne ganze Zeit lang wie die Könige davon leben.« Er stocherte zwischen den Münzen herum, die der Junge auf seiner zitternden Handfläche hielt.
»Du hast Angst, stimmt’s?«, fragte BibleMac. »Lass mal sehen, wie viel es insgesamt ist.«
BibleMac nahm eine Handvoll Münzen und zählte sie rasch, indem er sie sortierte und ihre Bezeichnung und die Summen leise vor sich hin murmelte. Nach einer Weile sah er lächelnd hoch. »Das ist mehr als genug für’n dickes, fettes Lammkotelett mit Soße für zwei und es bleibt immer noch genug übrig, wenn man nur den richtigen Ort kennt.«
Der Junge nickte. »Kannst du mir helfen?«, fragte er leise.
»Gute Idee, Kumpel«, sagte BibleMac. »Danke, ich begleite dich gern. Macht mir nichts aus. Das erste vernünftige Wort, das du heute Abend von dir gegeben hast«, lachte er und fügte hinzu: »Ich bin halb verhungert, komm jetzt, ich beiß nicht, versprochen.«
»Ich brauche Hilfe«, sagte der Junge drängend.
Das Lächeln erstarb auf dem Gesicht von BibleMac, er sackte ein wenig in sich zusammen. »Bist du in Schwierigkeiten?«, fragte er seufzend.
»Ja«, erwiderte der Junge und hob zum ersten Mal den Kopf. Seine Augen glänzten, sein Gesicht war blass und feucht.
»Große Schwierigkeiten, kleine Schwierigkeiten?«, fragte BibleMac und wusste bereits die Antwort.
»Große Schwierigkeiten«, sagte der Junge.
»Sehr groß?«
»Sehr groß.«
BibleMac ergab sich in sein Schicksal. Hier war wieder ein obdachloses Kind, um das man sich kümmern musste. Warum ließ er sich immer wieder darauf ein? Irgendwie geriet er immer wieder in solche Situationen, als zögen sie ihn magisch an.
Er nahm den Jungen mit zum Bahnhof am Fuß des Hügels. Sie liefen mitten durch die allerletzten Gruppen von lachenden Partybesuchern in ihren Halloweenkostümen. BibleMac sagte: »Erzähl mir alles später. Halt dich an mich und alles wird gut.« Er lief weiter und klimperte voller Vorfreude auf das Mahl, das sie bald zu sich nehmen würden, mit den Münzen.
Menschen liefen auf dem Gehsteig an ihnen vorbei und rempelten sie an. Der Junge ließ sie gewähren, ließ sie an sich vorbeilaufen und sich hierhin und dorthin schubsen, als wären die Gestalten um ihn herum nur eine andere Art von schlechtem Wetter.
Auf einer trübe beleuchteten Straße, weit vom Bahnhof entfernt, blieb der Junge stehen und sah zu, wie BibleMac sich aus einem Glaskasten an einem Tabakstand eine Zigarre aussuchte.
»Willst du auch eine?«, fragte BibleMac und drehte sich lächelnd zu dem Jungen um.
»Nein«, sagte der Junge.
Eine Weile später blieben sie auf einer heller beleuchteten Straße vor der weiß-goldenen Fassade eines Lyons Corner House Restaurants stehen. Warmes, freundliches, bernsteinfarbenes Licht schien durch die beschlagenen Fensterscheiben in den eisigen Nebel hinaus. BibleMac nickte dem Jungen zu. »Da wären wir.« Er drückte gegen die Tür und sie betraten das Restaurant.
20
Inspektor Lestrade von Scotland Yard zog sein lächerliches Kostüm aus und machte sich frisch. Die Halloweenparty der Corporation hatte ihm nicht gefallen. Er wusch sich in seinem privaten Bad und rasierte sich mit einem frisch abgezogenen Rasiermesser. Jetzt fühlte er sich wohler, sauberer. Er betrachtete sein Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken, während das Wasser und die Seifenreste abliefen. Er war müde und sah auch so aus. Es war ein langer Tag gewesen. Jetzt war es in seinem Büro still und ruhig, genau wie er es mochte, und es war so spät, dass ihn niemand mehr stören würde. Auf seinem Schreibtisch lag ein einzelner brauner Umschlag im Kanzleiformat. Er war als vertraulich gekennzeichnet und mit Wachssiegel und Bindfadenschleife verschlossen. Er setzte sich an den Schreibtisch, brach das offizielle Siegel und zog die Schleife aus der Öse der Umschlagklappe. Ein paar Akteneinträge, zwei oder drei großformatige Fotos mit den Abbildungen erschreckt aussehender Jugendlicher und Kinder mit schmutzigen Gesichtern, das Übliche eben – Schiefertafeln mit Kreidenummern.
»Gesegnet
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