Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
Vielleicht etwas zu brutal – dafür aber nachdrücklich: Nachdem er sich vergewissert hatte, dass es auf dem Parkplatz keine Zeugen gab, packte er sie an den Haaren und bog ihren Kopf zurück, bis sie in seine Augen starren musste: »Ich verspreche dir, wenn du auch nur ein einziges Wort zu der Geschichte sagst, dann bringe ich dich um, du Schlampe.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, haute er ihr noch eine runter und stieß sie zu Boden. Dann fuhr er nach Hause.
Seitdem ging er ihr aus dem Weg, bis er sie gestern beim Lieferanteneingang zufällig wiedertraf. Er wollte sie erst ignorieren, entschloss sich dann aber aus taktischen Gründen, sich zu entschuldigen, und versicherte, es täte ihm leid. »Schon gut«, antwortete sie lapidar. Er strich ihr durch das Haar und sagte irgendetwas Dämliches, was Frauen in so einer Situation eben hören wollen … und was tat sie? Sie umarmte ihn und sagte ihm, dass sie ihn liebe! Und das, obwohl ihre Lippe von seinen Schlägen immer noch aufgeplatzt war.
Da wurde ihm erst bewusst, dass sie nicht nur ein wenig verknallt, sondern richtig besessen von ihm war. Sie war ihm hörig! Das war zwar irgendwie unangenehm, aber andererseits auch nicht so übel: Die dumme Gans würde auch weiterhin die Klappe halten – solange sie ihn nur krankhaft liebte …
Er sah auf die Uhr und rollte seine Angel ein. Es war an der Zeit, an die Arbeit zu gehen, obwohl er nicht die geringste Lust dazu verspürte.
Nicht mehr lange, dann würde er von hier verschwinden. Irgendwohin. Weit weg. Dorthin, wo die Frauen nicht so kompliziert waren wie hier in Spanien. Vielleicht nach Kuba oder in die Dominikanische Republik. Aber erst einmal musste sich die Kleine beruhigen und falls nicht … müsste er sein Versprechen eben einlösen.
Er schmiss den Joint ins Wasser und startete den Außenborder. Seine Stimmung war nun deutlich besser als noch am Morgen und das, obwohl kein einziger Fisch angebissen hatte.
Am folgenden Tag hatte Joana erst ab 16.00 Uhr Dienst.
Nach dem Frühstück war sie mit ihrer Mutter den Strand entlangspaziert, bis an das Ende bei Cotobro und wieder zurück. Dazu brauchten sie normalerweise eine Stunde, diesmal aber deutlich länger. Ihre Mutter meinte zwar, es gehe ihr mittlerweile viel besser und die Untersuchung im Krankenhaus müsse wohl doch nicht unternommen werden, aber Joana misstraute der ganzen Sache. Inmaculada jedoch wischte ihre Einwände fort und versuchte Zuversicht zu verbreiten. Sie sei sicher, dass sie schon bald wieder arbeiten könne – außerdem fiele ihr daheim sowieso nur die Decke auf den Kopf.
Dann war Inmaculada schließlich doch nach Hause zurückgekehrt und Joana war geblieben.
Sie sah auf.
Am heutigen Apriltag war der Himmel über Almuñécar so düster wie ihre Gedanken.
Möwen kreischten über einem Fischerboot, das gerade sein Schleppnetz einzog. Sie roch den Vanillegeruch eines Pfeifentabaks, als sie an einem wettergegerbten Fischer vorbeiging, der sein Netz flickte. Sie kannte ihn, wie fast jeden hier im Ort, und nickte ihm freundlich zu. Schließlich blieb sie an einem Kiosk stehen, kaufte eine kleine Flasche Mineralwasser und setzte sich auf einen der großen Felsbrocken, die am Ende des San-Cristobal-Strandes ins Meer ragten.
Die See war vom starken Poniente, dem lokalen Westwind, aufgewühlt; dumpf brandeten die Wellen gegen die Felsen.
Wasserfontänen schraubten sich senkrecht empor und feine Gischt hüllte Joana ein. Sie wischte ihr Gesicht ab und kletterte ein paar Felsen weiter hinauf. Dann starrte sie in Richtung Marokko. Der Horizont war mit dunklen Wolkenbrettern verwischt, wie bei dem Aquarell eines traurigen Malers.
Carmen war fünfzehn, als sie verschwand, und hätte in ein paar Monaten, am zwölften September, ihren achtzehnten Geburtstag gefeiert. Joana selbst war siebenundzwanzig, als es passierte, und im August würde sie ihren dreißigsten Geburtstag feiern. Feiern …? Oder langsam aus ihrer Lethargie erwachen. Sie musste ihr Leben wieder in den Griff bekommen und nicht immer den gleichen Fragen nachhängen: ob Carmen schon lange tot war oder ob sie einfach nur weggelaufen war …
Ihr bevorstehender Geburtstag wäre ein geeigneter Tag, die Vergangenheit ruhen zu lassen und ihr eigenes Leben, das sie vor zwei Jahren praktisch vollkommen unterbrochen hatte, wieder neu zu beginnen. Sie könnte sich frischen Gedanken widmen, wieder offener, umgänglicher werden und wer weiß … sich vielleicht sogar verlieben und
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