Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
nicht an deine eigenen Visionen!«, fügte sie hinzu.
Kilian stocherte mit einem Stock im Waldboden und dachte an dieses lebendige Gedankenbild mit dem Boot. Joana, für die Jesus nichts weiter war als ein Che Guevara früherer Zeiten, empfahl ihm ernsthaft, Xavers Asche ins Meer zu schütten, als handele es sich um Fischfutter. Sie war wahrlich kein guter Umgang für jemanden, dessen Ziel es war, doch noch die Priesterweihe zu erlangen.
»Und was denkst du über meine zweite Vision, die mit deiner Mutter?«, fragte er sie schließlich.
»Das weiß ich auch nicht. Aber dass Xavers Tod mit dem von meiner Mutter zusammenhängt, wussten wir schon, bevor du mit Xaver ein Gespräch auf höchster Ebene führtest. Denk an die Bibel meiner Mutter in Xavers Reisetasche! Nur wie alles zusammenhängt, wissen wir noch nicht.«
Joana begann den Pfad hinabzugehen und Kilian trottete hinterher. Das Wort »Seebestattung« schwirrte ihm dabei im Kopf herum wie ein musikalischer Ohrwurm.
Sie kehrten zum Mietwagen zurück und Kilian drückte die Öffnungstaste seines Schlüssels. Die Blinker leuchteten auf, aber Joana winkte ab. Statt ins Auto zu steigen, folgten sie linker Hand einem Pfad, an dessen Ende sie über hundert Stufen erklimmen mussten, um zum Leuchtturm zu gelangen. Oben angekommen, umrundeten sie den Turm. Auf seiner Südseite überblickten sie die Villen der Urbanisation Punta de la Mona und das Meer. Kilian legte seine Hände wie Scheuklappen an die Schläfen und bildete sich ein, am Horizont den afrikanischen Kontinent ausmachen zu können. An der westlichen Seite folgte sein Blick der Küstenlinie der Costa Tropical in Richtung Málaga. Joana trat neben ihn und deutete in diese Richtung.
»Das da unten ist La Herradura. La herradura bedeutet: das Hufeisen.«
Kilian hatte heute schon wichtigere Worte gelernt, aber die Bucht, an dem dieser vom Tourismus offenbar noch verschonte Ort lag, wurde ihrem Namen gerecht.
Joana fuhr im Stile einer Touristenführerin fort: »Der Ort hat etwa fünftausend Einwohner und gehört politisch irgendwie zu Almuñécar, aber so genau weiß ich das auch nicht. Dort hinten«, sie zeigte auf eine Landformation, die hinter dem Ort ins Meer ragte, »ist der Cerro Gordo. Das ist ein geschützter Nationalpark.«
Kilian nickte und ließ den Ausblick auf sich wirken. »Hinter dem Cerro Gordo befinden sich zwei tolle Strände. Die Playa Cantarijan, das ist ein Nacktbadestrand, und die Playa Canuelo. In Cantarijan gibt es zwei tolle Chiringuitos, so nennt man in Spanien rustikale Strandrestaurants, in denen man guten Fisch bekommt.« Kilian malte sich aus, wie er mit Joana in so einem Chiringuito Fisch aß, die nackten Füße im Sand und eine Flasche kühlen Weißweins auf dem Tisch. Er seufzte und ließ seinen Blick über die Steilküste schweifen, deren Saum von kleinen Einbuchtungen zerschnitten war.
»Der Ort dahinter nennt sich Nerja, da gibt es fast nur englische Touristen. Danach kommt Torrox, wo es so viele Deutsche gibt, dass es einfacher ist, eine Currywurst zu bestellen als eine Paella.« Joana hob den Arm. »Danach kommt Torre del Mar und dahinter Málaga und da ganz hinten«, Joana wedelte mit dem Arm in Richtung Horizont, »da liegt Gibraltar, aber soweit kann man nicht sehen.«
Joana spazierte auf die nordöstliche Seite des Leuchtturms. Sie zeigte ihm das Gebirge, auf dessen Berggipfel um diese Jahreszeit die letzten Schneefelder schmolzen. »Dort oben liegt die Sierra Nevada, wo man im Winter Skifahren kann und das gibt’s eigentlich nur hier: zuerst Ski fahren und eine Stunde später am Strand sitzen. Kannst du Ski fahren?«
Er schüttelte den Kopf. Er war zwar in Sichtweite der Alpen aufgewachsen, aber sein Vater hatte ihm nie erlaubt, sich mit derart unnützen und kostspieligen Freizeitbeschäftigungen vor der Arbeit am Hof zu drücken.
»Ich kann es auch nicht. Dieser Berg dort …« Joana lehnte sich von hinten gegen ihn, legte ihre Hand auf seine Schulter und wies mit der anderen auf einen Gipfel. Er spürte ihre Brüste in seinem Rücken und inhalierte den Duft von Apfelshampoo, den ihr Haar verströmte.
»Das ist der höchste Berg Spaniens. Er heißt Mulhacén. Na ja, der höchste Berg auf dem spanischen Festland zumindest. Auf den Kanarischen Inseln haben sie einen noch höheren.« Kilian nickte abwesend. Er fühlte sich wie ein Teenager, dessen Hormone Achterbahn fuhren, und musste sich beherrschen, um sich nicht umzudrehen und in den verbotenen Apfel zu
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