Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
Joana neben ihn trat und ihm eine Kaffeetasse in die Hand drückte.
»Gefällt dir der Ausblick?«
»Buenos días«, sagte er und dachte, dass es gar nicht schaden könnte, ein wenig Spanisch zu lernen. »Ich würde den ganzen Tag hier oben sitzen, wenn das mein Haus wäre.« Er sah, wie eine Frau, die circa sechs Häuser weiter wohnte, zwischen den Vorhängen zu ihnen hinüberlugte.
Joana folgte seinem Blick. »Man ist hier genauso für sich wie auf dem Marktplatz, aber man gewöhnt sich daran.« Sie nippte an ihrem Kaffee und wies mit dem Finger zu einem Leuchtturm auf einer Landzunge. »Dort, wo der Leuchtturm steht, das ist die Punta de la Mona, so ziemlich die teuerste Gegend hier und dort«, sie senkte ihren Finger, »liegt ein romantischer Sporthafen. Warst du da schon?«
Kilian schüttelte den Kopf. In den vergangenen beiden Wochen war Sightseeing das Letzte gewesen, was er im Sinn gehabt hatte.
»Dann fahren wir da jetzt hin! Ich muss erst um vier zur Arbeit.«
Kilian, den man nicht lange überreden musste, wenn es darum ging, mit Joana romantische Orte zu besuchen, erklärte sich einverstanden.
Der Marina-del-Este-Jachthafen war nicht besonders groß, dafür umso bezaubernder. Zum Meer hin dominierte ein felsiger Hügel, der für natürlichen Schutz gegen die Wellen sorgte. Flankiert wurde dieser auf beiden Seiten von einem Steinwall, der sich auf der nördlichen Felsseite bis zu dem roten Befeuerungsturm der Hafeneinfahrt zog, wo einige an die dreißig Meter lange Jachten vertäut lagen. Auf der anderen Seite reichte der Wall bis in den seichteren Teil des Hafenbeckens. Dort lagen die kleinen Boote an der Mole. Auf der Landseite der Hafenanlage befand sich eine Appartementanlage, eine Handvoll Restaurants, ein Laden für Jachtzubehör, eine Tauchschule und das Immobilienbüro Mengel & Partners, welches exklusive Villen und Wohnungen in der Gegend anbot.
Kilian sah sich im Schaufenster die spektakulären Angebote an, die er sich wohl niemals würde leisten können, ehe er Joana ins Restaurant »El Barco« folgte. Dort setzten sie sich an einen Tisch direkt neben einer Mole und Joana bestellte bei Alfredo, einem Kellner mit weißem Bart, zwei Tostadas de Tomate und zwei cafés con leche . Sie grinste, als Kilian skeptisch auf sein getoastetes Brot, eine Flasche Olivenöl und eine Schale mit pürierten Tomaten starrte.
»Hast du etwa gedacht, du bekommst hier Weißwurst mit süßem Senf, so wie bei eurem Frühschoppen? Mírame!«
»Was?«
»›Mírame‹ bedeutet: Schau mir zu!«
Auf der Fahrt hierher hatte Kilian sie nach einzelnen Vokabeln gefragt und Joana hatte ihm ihrerseits die Bedeutung einiger spanischer Begriffe erklärt. Es gefiel ihr offenbar, dass er sich für ihre Sprache interessierte. Joana nahm das getoastete Weißbrot zur Hand und schnitt mit dem Messer dreimal der Länge nach ins Brot. Kilian tat es ihr gleich.
»Und jetzt ordentlich Olivenöl drauf!«, empfahl sie, nahm die Flasche und beträufelte das Brot, bis kein Krümel mehr trocken blieb. Dann reichte sie ihm das Olivenöl und fuhr mit ihrem andalusischen Frühstückskurs für Anfänger fort:
»Jetzt noch die Tomaten drauf. Salz und Pfeffer und … listo!«
»Listo?«
»Das heißt: fertig! Schmeckt’s?«
»Fantastisch. Fast so gut wie eine Münchner Weißwurst.«
Nach dem Frühstück fuhren sie die Urbanisation Punta de la Mona hinauf und bogen beim Hotel Alcázar nach links ab. Sie passierten prächtige, von bunten Hecken umrankte Villen, bis Joana neben einem Pinienwald zweimal auf das Handschuhfach klopfte, ihr Zeichen zum Anhalten.
»Was hast du eigentlich jetzt – nach allem, was du mir erzählt hast – für ein Verhältnis zu Gott? Glaubst du noch an ihn?«
»Hm« Kilian wurde von ihrer Frage überrascht. Er wusste, dass Spanien ein äußerst katholisches Land war, aber er konnte seine Gedanken nicht in Worte fassen, also gab er die Frage unbeantwortet zurück: »Glaubst du denn an einen Gott?«
Joana schüttelte den Kopf. »Nein, das tue ich nicht. Schon gar nicht, nachdem ich meine gesamte Familie verloren habe. Außerdem führt Glauben zu Krieg und Not. Das war vor fünfhundert Jahren schon so, als wir Spanier in die neue Welt einfielen und die Indios folterten, bis sie an denselben Gott glaubten wie wir. Und sogar heute noch bekämpfen sich Menschen unter dem Deckmantel des Glaubens. Nur bezeichnet man das jetzt als Terrorismus und nicht mehr als Kreuzzug. Wozu also an etwas glauben? Aber«, wandte
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