Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
Nickerchen machen soll?! Sag mal … bist du als Kind beim Eislaufen in irgendeinem See eingebrochen, weil du so cool bist ?« Ihre Stimme schwankte zwischen Wut und Tränen.
Kilian verstand ihre Reaktion, aber wenn ihr Entführer nicht vorher auftauchte, konnten sie bis zum Tagesanbruch nicht viel mehr tun, als auf Licht zu warten.
Kilian hob den Kopf. Durch das Dach blinkten vereinzelte Sterne. Trotzdem war es hier unten so stockfinster, dass man nicht einmal Schemen ausmachen konnte. Bei Tageslicht würden die durch das löchrige Dach einfallenden Sonnenstrahlen hoffentlich ausreichen, um hier etwas zu erkennen.
Kilian dachte an den Mann mit der Baseballkappe. Er war einen Kopf kleiner als er und von unterlegener Physis, aber Kilian zweifelte nicht, dass er bewaffnet war, wenn er zurückkäme. Und wenn er nicht zurückkommt?
Er verdrängte diesen schauderhaften Gedanken. Jetzt galt es, Joana zu beruhigen, obwohl er vor Angst selbst kaum denken konnte. Das Eigenartige war nur: Er verspürte Angst ! Jetzt, da es um sein Leben ging, bekam er Angst, es zu verlieren, obwohl er seit zwei Jahren Tabletten schluckte, um nicht irgendwo von einer Brücke zu springen. Aber mehr noch galt seine angstvolle Sorge Joana. Er wollte nicht, dass sie sterben musste. »Wir kommen hier raus, Joana. Ich versprech’s dir. Aber wir müssen bis Tagesanbruch warten.«
Er rutschte zu ihr hinüber und legte seinen Arm um ihre Schultern. »Mit dem hier schaffen wir es!«, sagte er und führte ihre Hand zu einem kalten Gegenstand, der auf seinem Schoß lag.
»Was ist das?«
»Ein Stemmeisen aus der Werkzeugkiste, auf der ich im Lieferwagen saß. Ich hatte während der Fahrt kein gutes Gefühl und suchte nach einer Waffe.«
Er fühlte, wie Joana Mut fasste. »Ich will hier nicht sterben, Kilian!«, sagte sie schließlich.
»Das werden wir auch nicht«, sagte er betont gelassen und hoffte, dass er recht behielt.
Aneinandergelehnt dösten sie, bis die Löcher im Dach als graue Punkte hervortraten.
Wie Kilian vermutet hatte, gewannen die Formen ihres Gefängnisses im Morgengrauen an Kontur.
Er trat zur Tür und inspizierte sie. Sich dagegenzuwerfen, hatte er in der Nacht schon versucht, bis der Schmerz in seiner Schulter unerträglich wurde. Die Stahltür schien vor Kurzem nachträglich eingebaut worden zu sein. Kilian umklammerte das Stemmeisen und hämmerte gegen die Tür, aber mehr als eine leichte Delle trug der massive Stahl nicht davon.
Kilian sah sich um.
Joana hockte zusammengesunken wie eine traurige Puppe auf zwei Obstkisten aus Plastik, das einzige Inventar dieses ehemaligen Viehstalls. Der Stall verfügte über keine Zwischendecke. Er schätzte die Höhe des Schrägdachs ab. Unmöglich, dort hinaufzugelangen, selbst mithilfe der Obstkisten nicht. Kilian klatschte mit der flachen Hand gegen die Mauern, es klang, als klopfe er gegen die Eiger-Nordwand. Dann rammte er das Stemmeisen gegen den Stein und verstauchte sich die Hand. Putz rieselte auf den Boden. Zuletzt fragte er Joana, was »Hilfe« auf Spanisch bedeutete, und brüllte ein Dutzend Mal »Socorro« in Richtung Giebel. Weitere Möglichkeiten gab es keine. Kilian setzte sich neben Joana und mied ihren hoffnungslosen Blick.
»Ich hab Durst«, flüsterte sie.
37
U nd sie ist immer noch nicht zu erreichen?«, fragte Carlos Maite heute schon zum dritten Mal. Belen war aus Angst der Arbeit ferngeblieben und Joana nahm sich Liebesurlaub, obwohl das Hotel kopfstand. Was für eine indiskutable Arbeitsmoral, dachte er, während Maite nur den Kopf schüttelte.
»Probier’s noch mal!«, forderte er sie auf, obwohl Maite drei abreisewillige Pärchen zu bedienen hatte.
Maite drückte auf Wiederwahl und reichte ihrem Chef das Handy. Carlos lauschte dem Freizeichen, bis die Mailbox ansprang. »Verdammt, die kann uns doch hier nicht hängen lassen und einfach so verschwinden!«, fluchte er und starrte Maite an.
Maites Gesichtsausdruck hatte sich gewandelt, sie ignorierte die Gäste und zog ihn am Ärmel.
»Carlos, ihr wird doch nichts passiert sein?«
Er rollte mit den Augen. »Was soll denn passiert sein? Die turtelt mit ihrem neuen Freund in Sevilla herum und pfeift auf die Arbeit, das ist passiert! Ist denn hier wirklich schon jeder paranoid?«
Kilian hatte die vergangene Stunde mit dem Stemmeisen auf die Mauer eingestochen, die hinter dem Putz aus Granit zu bestehen schien. Alles, was er mit seinen blutenden Händen erreicht hatte, war eine Einkerbung, in die man
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