Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
der rechte zur Seite zeigte, darüber schwarze Herrenstrümpfe, rasierte Waden und ein weißer Hemdzipfel, der aus einem Hosenbund ragte …
»Antonio?«, fragte Jaime vorsichtig, ahnte aber bereits, dass er keine Antwort bekommen würde, und schob seinen Kopf weiter am Türpfosten vorbei. Jetzt wusste er, warum das im Fernsehen immer so war! Oft hatte er sich gefragt, warum sich im Film jemand – meistens ein belächelter Schwächling oder ein Polizeianwärter – übergeben musste, wenn er an den Fundort einer Leiche kam. Das kam nämlich daher, dass ein gewaltsamer Tod einfach viel zu schrecklich anzusehen ist, dachte er, als er seinen letzten Brocken Frühstück in die Spüle spuckte.
Antonios weißes Hemd war in Blut getränkt. Seine Hände waren vor dem Bauch gefaltet, als bete er zu Gott und läge bereits aufgebahrt in einem Sarg. Aus den Nasenlöchern zogen sich getrocknete Blutstriemen über Mundwinkel und Hals. Stirn und Wangen waren mit feinen Bluttröpfchen gesprenkelt, es sah aus wie Sommersprossen. Antonios offenstehende Augen fixierten die grelle Deckenleuchte, und erst beim Anblick seiner Augen, die wegen des hellen Lichts hätten blinzeln müssen, wurde Jaime bewusst, dass Antonio mausetot war. In Antonios Nacken lag ein fettiger Gegenstand, der zusammen mit den gefalteten Händen den Eindruck einer makabren Inszenierung erweckte: Das Haupt ruhte auf einer mit Blut und Fett verschmierten Schinkenkeule, die ihm nun als Kissen diente. Jaime erkannte anhand der schwarzen Hufe, dass es sich bei dem Schinken um einen Pata Negra handeln musste. Er würgte ein letztes Mal und rannte aus der Cafeteria. »Ruf die Guardia Civil an. Mach schnell!«, schrie er Joana quer durch die Lobby zu. Aber das war nicht notwendig, weil gerade in diesem Moment ein Dutzend Uniformierter mit gezogenen Waffen durch die Drehtür drängten. Das belgische Ehepaar zog seine Koffer aus dem Wagen und begab sich auf die Suche nach einem anderen Hotel.
Gegen Mittag war die Lage im Hotel »Palace« gänzlich außer Kontrolle. Der Hotelparkplatz war voll mit Einsatzwagen der Guardia Civil, zwischen denen sich die Presse drängte, da sie keinen Zutritt zum Hotel bekam. Der Hotelbetrieb brach zusammen, und die ohnehin spärlichen Gäste wollten nicht länger an einem Ort bleiben, an dem in kurzer Zeit vier Personen gestorben waren, und noch weniger wollten die Angestellten hier weiter ihrer Arbeit nachgehen. In der Lobby kam es zu Tumulten zwischen der Guardia Civil und den Gästen und Hotelangestellten, die das Hotel verlassen wollten, aber daran gehindert wurden. Der Konferenzsaal wurde wieder als Befragungsraum benutzt, aber auch hier herrschte Chaos, weil es an Beamten fehlte, und ein Teil der Gäste kein Spanisch sprach. So beschränkte man sich darauf, das anwesende Personal zu befragen, während man auf Dolmetscher und Verstärkung aus Granada wartete.
Paco stand an der Eingangstür zur Küche der Cafeteria und begutachtete den Tatort. Der verantwortliche Richter, Señor Puertas, unterhielt sich mit Teniente Lozano und dem forensischen Arzt, Dr. Manuel Castillo. Capitán Morales aus Granada hockte mit zwei Beamten von der Spurensicherung neben der Leiche. Das einzig Positive war, dass sie hier mit etwas Glück auf Spuren stoßen würden, dachte Paco. Dies war der vierte Todesfall in diesem Hotel. Zwei Männer und zwei Frauen waren in den letzten drei Wochen hier zu Tode gekommen und bis zur dritten Leiche hatte man mit viel Fantasie noch hoffen können, dass es sich nur um Unfall oder Selbstmord handelte, weil eine offensichtliche Gewaltanwendung bei den Opfern ja fehlte. Aber Antonio wurde eindeutig erschlagen. Gerade Antonio, den sie eben noch wegen dringenden Tatverdachts hatten verhaften wollen! Paco erinnerte sich an das Verhör mit diesem Burschen, der sich im Laufe des Gesprächs zwar immer verdächtiger gemacht hatte, dem aber leider in Sachen Elena nichts nachzuweisen gewesen war. Und heute Morgen erhielten sie dann den Anruf aus Sevilla und zogen aus, um den vermeintlichen Täter zu schnappen, und jetzt lag er hier, erschlagen mit einem stumpfen Gegenstand, wahrscheinlich der Schinkenkeule, so die bisherige Annahme des Gerichtsmediziners. Es würde noch bis in den späten Nachmittag dauern, ehe man die Leiche abtransportieren und obduzieren konnte.
Paco wandte sich ab und verließ die Cafeteria. Der Fall würde landesweit hohe Wellen schlagen und sicher auch im restlichen Europa in den Medien auftauchen. Vier Tote
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