Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
Elena gerade einen Tisch ab.
Das Restaurant bot Platz für vierhundert Personen, aber wenn Mitglieder weitverzweigter Familien aus Almuñécar hier ihre Hochzeiten feierten, wurde sogar dieser Platz knapp. Jetzt, um vier Uhr nachmittags, hatten die ausländischen Gäste allerdings längst gespeist und nur noch drei Tische waren mit Spaniern besetzt. Joana wartete neben dem Eingang zur Küche. Ein Koch trat durch die Flügeltür, die ihr den Geruch nach frittiertem Fisch zufächerte. Elena balancierte mit den leeren Tellern auf sie zu, hielt aber inne, als sie Joana entdeckte.
Ganz schön erschrocken für eine zufällige Begegnung mit einer Kollegin, dachte Joana.
Elena trug die übliche Kleidung einer Bedienungskraft: schwarze Schuhe, schwarze Strümpfe, einen gleichfarbigen Rock und eine weiße Bluse. Ihre mit Wachs bearbeiteten Haare trug sie breitgelockt und unter ihren goudablonden Strähnen wuchs der dunkle Haaransatz schon zu weit nach, ohne neu getönt worden zu sein. Für eine Spanierin war die aus Asturien stammende Elena so hellhäutig wie eine Skandinavierin und zudem mit Sommersprossen übersät.
»Hallo Elena«, grüßte Joana freundlich.
»Hallo«, erwiderte Elena knapp, kam näher und stieß die Schwingtür mit dem Fuß auf.
»Nur einen Moment, Elena … sag mal, kann es sein, dass du gestern Abend bei mir angerufen hast?«
»Nein, wieso sollte ich?« Elena starrte auf den Teller ausgelutschter Miesmuscheln in Salsa Marinera.
»Na ja, ich habe gestern einen Anruf erhalten und … nun, die Stimme klang so ähnlich wie deine.«
Elena trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich war das aber nicht«, entgegnete sie entrüstet, »ich habe ja nicht mal deine Telefonnummer!« Ein Gast rief nach der Rechnung. »Ich muss jetzt weitermachen.« Sie drängte sich an Joana vorbei in die Küche.
Joana blieb einen Moment lang verdattert stehen, dann zuckte sie mit den Achseln. Ein wenig seltsam war Elenas Reaktion schon, aber ihr blieb vorerst nichts anderes übrig, als ihre Vermutung für unbegründet zu halten. Die Stimmen waren sich zwar ähnlich, aber was sollte Elena – Elena aus dem Restaurant – mit dem Verschwinden Carmens zu tun haben?
Auf dem Rückweg zur Rezeption bestellte sie bei Antonio zwei Kaffee, einen für sich selbst und einen für Maite. Vielleicht war es am besten, sie vergaß diesen dummen Anruf einfach wieder. Möglicherweise hatte ihr jemand nur einen üblen Streich spielen wollen.
Als Joana an den Tresen zurückkehrte und Maite den Milchkaffee reichte, lachte diese gerade auf. Maite bedankte sich, ohne aufzublicken, nahm einen Schluck von dem Kaffee und blätterte weiter im »Jueves«, dem kultigen Comic-Heft für Erwachsene, das politisch und gesellschaftlich kein Blatt vor den Mund nahm. Sogar die Königsfamilie wurde darin aufs Korn genommen, was einen absoluten Tabubruch innerhalb der spanischen Medienlandschaft bedeutete.
Joana musterte ihre Freundin, die vollkommen in das Magazin vertieft schien.
Maite war genauso wie diese Zeitschrift gestrickt. Auch sie scheute sich nicht, ihre Meinung offen zu sagen. Und am liebsten probierte sie ihre scharfe Zunge an Carlos aus.
Maite und sie hatten sich auf der Hochschule für Tourismus in Granada kennengelernt, verloren sich danach aber aus den Augen. Maite zog es nach Madrid, während sie ein Praktikum in Hamburg absolvierte. Als das »Palace« vor sechs Jahren eröffnete, bekam sie als Einheimische ihren Traumjob als Empfangsdame im besten Hotel vor Ort. Zwei Jahre später vermittelte sie Maite, die von der Hauptstadt und deren hombres genug hatte und wieder an die Küste wollte, eine Stelle als Direktionsassistentin. Zwischen Maite und Carlos ging es jedoch keine sechs Monate gut, und nun saß Maite neben ihr am Empfang und sie selbst war neben ihrer eigentlichen Arbeit nun auch noch die Assistentin des Direktors. Was vor allem bedeutete, dass Carlos seine mala folla , seine schlechte Laune, exklusiv bei ihr abladen durfte.
Erneut musterte Joana ihre Kollegin.
Seit drei Jahren arbeiteten sie nun Seite an Seite und Maite war die Einzige, der sie nicht aus dem Weg gehen konnte. Ihr gegenüber konnte sie sich nicht einigeln, wie sie das bei vielen anderen getan hatte. Zu den meisten ihrer bisherigen Freundinnen aus Schul- oder Jugendtagen hatte sie im Laufe der Zeit den Kontakt abgebrochen. Einige riefen sie Anfangs noch regelmäßig an, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen und ob es etwas Neues von Carmen gäbe. Ihr
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