Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
Befinden war jedoch immer das Gleiche und von Carmen gab es nie etwas Neues, sodass sie nach einer Zeit die Anrufe nicht mehr beantwortete – bis ihre Freundinnen es leid waren und ihre pflichtschuldigen Anrufe endgültig einstellten. Zwei von ihnen luden sie zwar noch zu ihrer Hochzeit ein, aber sie war nicht in der Lage gewesen, etwas zu feiern, und sagte ab, was den endgültigen Bruch zu den früher so vertrauten Kameradinnen aus besseren Zeiten besiegelte.
Maite blätterte grinsend ihren »Jueves« um und nahm einen weiteren Schluck vom Milchkaffee. Joana war dankbar, dass sie ihre Freundin war – ihre einzige, wenn man es genau nahm. Viele konnten Maite nicht ausstehen. Sie war zu direkt, zu offen, so mancher fühlte sich von ihr vor den Kopf gestoßen, aber genau das schätzte Joana an der zierlichen Frau. Maite wog kaum fünfzig Kilo und selbst mit ihren steilen Absätzen – eine Art Markenzeichen, Joana hatte sie nicht ein einziges Mal in Turnschuhen oder dergleichen gesehen – musste sie sich auf einen Schemel stellen, um ordentlich über die Empfangstheke hinauszuragen. Maite war zwar eitel, aber auf eine ungenierte Art. Ihre Cellulitis-Creme stand meist neben dem Bildschirm und jeder Kollegin, die diese grüne, konische Tube sofort korrekt zuordnen konnte, gestand sie, dass selbstverständlich auch sie sich an manchen Problemzonen damit einreiben müsste.
Genauso offen redete sie über ihre Brustvergrößerung, die sie vor drei Jahren von einem der teuersten Spezialisten Spaniens hatte vornehmen lassen. »Einem, der auch schon im Fernsehen war, und Frauen von Stierkämpfern und Fußballern verschönerte«, wie sie sagte. Ihre Bank finanzierte das erfolgreiche Projekt in sechsunddreißig Monatsraten und vor ein paar Wochen verkündete Maite stolz, dass ihre Brüste nun mit der letzten Rate abbezahlt wären und jetzt zu einhundert Prozent ihr gehörten …
Weniger glücklich ging sie mit ihrem Haar um: Dieses wurde seit ihrem sechzehnten Geburtstag mit ähnlicher Regelmäßigkeit wie ihre Menstruation von Farbtönen übertüncht, wie sie (zumindest in Maites radikalster Zeit) auch auf afrikanischen Flaggen prominent vertreten sind. Vor Kurzem hatte Maite ihr Haar dunkelblond getönt, aber die Tinktur wurde vom Figaro verfehlt, woraufhin sie die Haare geschnitten haben wollte. Der Friseur aber schnippelte zu viel ab und Maite ließ sich Haarverlängerungen einflechten. Ihre Frisur bestand nun aus mahagonirotem Eigenhaar, welches an den Schultern in kastanienbraune Büschel mündete – der ehemaligen Haarpracht einer Bolivianerin, wie ihr der Friseur erklärte …
Maite kicherte und schlug eine weitere Seite im »Jueves« um. Joana lächelte. Es war ein gutes Gefühl, mit der verrückten Maite zusammenzuarbeiten und sie als Freundin zu haben. Aus einem plötzlichen Bedürfnis heraus rollte sie mit ihrem Bürostuhl heran und umarmte sie.
»Danke«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »Ich danke dir für alles!«
Kurz vor sieben Uhr abends war es dann so weit: Joana arbeitete gerade am Computer im Büro, als Carlos die Tür einen Spalt weit aufzog und ihr mit einem häufig benutzten Zeichen – vier Finger gegen den Daumen wie eine schnatternde Ente – zu verstehen gab, dass ihre Sprachkenntnisse benötigt wurden.
Joana seufzte. Für einen Hoteldirektor war Carlos erstaunlich unterbelichtet, was Fremdsprachen anbelangte. Er sprach nur gebrochen Englisch und auch das nur mit starkem Akzent. So bediente er persönlich ausschließlich seine eigenen Landsleute, alle anderen verwies er an Joana mit ihren perfekten Englisch-, Französisch- und Deutschkenntnissen oder an Maite, die neben Englisch auch noch fließend Portugiesisch und Italienisch sprach.
Joana folgte Carlos, erstarrte aber, als sie den Bereich der Rezeption betrat.
Damit hatte sie nicht gerechnet …
Die Ähnlichkeit des Mannes, der etwas verloren auf der anderen Seite des Tresens stand, mit dem Verstorbenen war frappierend. Joana überlegte, ob sie nicht einfach wieder zurück ins Büro schlüpfen sollte. Sie wollte diesem Mann nicht gegenübertreten. Warum sprach Carlos nicht mit dem Fremden? War das nicht seine Aufgabe als Direktor?
Carlos aber deutete nur mit dem Finger auf Joana, brachte ein schiefes Lächeln zustande und bemühte sich, schleunigst das Weite zu suchen. Jetzt blieb es also doch an ihr hängen. Die Miene des Fremden hellte sich ein wenig auf, als er Joana erblickte, offenbar war er froh, endlich jemanden gefunden zu haben,
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