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Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)

Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pata Negra: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduard Freundlinger
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Kilian, wie er behauptete, mit fortschreitendem Alter immer nervöser und ängstlicher wurde. Mit einem Wort: Xaver war der fröhliche Huber und er der Bekümmerte.
    »Wäre es umgekehrt gewesen, Joana, hätte Xaver nach Spanien kommen müssen, weil ich tot in diesem Hotelzimmer lag. Er hätte wohl nicht an der Vermutung des Polizisten zweifeln müssen.«
    Joana schluckte und wollte etwas erwidern, aber der Kellner kam an ihren Tisch. Kilian bestellte noch zwei kleine Biere und fuhr fort:
    »Xaver war einfach ein vollkommen positiver Mensch, er kam mit jedem gut aus, er war ehrgeizig und die Bank schickte ihn ständig auf Fortbildung. Außerdem interessierte er sich für Sprachen, er wollte Spanisch lernen und hatte bereits drei Kurse an der Volkshochschule belegt. In Andalusien wollte er seine Sprachkenntnisse verbessern, um danach im Winter für vier Wochen nach Venezuela zu reisen.«
    Joana ahnte, worauf Kilian hinauswollte.
    »Und er hatte sich vor Kurzem eine schicke Wohnung in München gemietet, weil er als Anlageberater nicht schlecht verdiente. Bei unserem letzten Treffen erzählte er mir von seinen Plänen – soweit man in Xavers Leben überhaupt von Plänen sprechen kann –, aber du weißt ja, was ich meine. Auf jeden Fall wollte er sich in den nächsten Jahren in diesem Bereich mit einem kleinen Büro selbstständig machen. Er war gewissermaßen voller Pläne. Ich meine … du hast es ja selbst von Antonio gehört: Xaver wollte am Tag nach seiner Ankunft in diese Stadt fahren – wie hieß sie noch gleich, Ronda?«
    Joana nickte.
    »Dann frage ich dich, Joana: Wieso plante er diese Reise, wieso plante er seine Zukunft, sein ganzes neues Leben, wenn er vorhatte, sich umzubringen?«
    Joana starrte auf das Werbeplakat eines Stierkampfs in Granada. Das war in der Tat sehr seltsam. Mit einer typischen Frage aus einem Fernsehkrimi unterbrach sie die Stille. »Hatte dein Bruder denn irgendwelche Feinde?«
    »Mein Gott, nein! Im Gegenteil, er hatte unheimlich viele Freunde und er war überall beliebt.«
    Joana unterbrach ihn wie bei einem Verhör: »Kannte er Leute hier in Spanien? Hat er sich mit jemandem getroffen?« Kilian schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Er war, bis auf eine Woche Mallorca vor zehn Jahren, vorher überhaupt noch nie in Spanien.«
    Joana nahm ihren Bierdeckel zur Hand und klopfte damit auf ihr Glas. Sie sah Kilian lange in die Augen. »Was ist deiner Meinung nach also unwahrscheinlicher?«, fragte sie ihn schließlich.
    Kilian runzelte die Stirn und setzte sich aufrechter in seinen Stuhl. Joana lehnte sich nach vorne. »Xaver hatte keinen Grund, sich umzubringen, sagst du, und da gebe ich dir recht, aber du hast mir gerade zu verstehen gegeben, dass auch niemand einen Grund hatte, ihn zu ermorden. Wenn wir also einen natürlichen Tod ausschließen – was ist unwahrscheinlicher? Mord oder Selbstmord?«
    Ein Blatt segelte vom Orangenbaum herab und landete vor Joana auf dem Tisch. Sie wischte es herunter und hob den Blick. Kilian sah sie mit aufgerissenen Augen an – so, als würde er sie gerade zum ersten Mal richtig wahrnehmen.
    »Das ist eine gute Frage …«, sagte er schleppend, »was glaubst du, Joana?«
    »Ich glaube, dass man nie richtig in einen anderen Menschen hineinsehen kann, auch wenn es der eigene Bruder oder die eigene Schwester ist. Man kann sich ja meist selbst nicht mal richtig einschätzen und bleibt sogar sich selbst gegenüber unberechenbar. Ich glaube die Guardia Civil hat recht!«
    Kilian griff sich an die Nasenwurzel und senkte den Blick. Er schien intensiv nachzudenken und Joana versuchte, sein Mienenspiel zu deuten. Sicher fragte er sich, ob er seinen Bruder tatsächlich so gut gekannt hatte, wie er dachte. Nach geraumer Weile schüttelte Kilian den Kopf, fast so, als wollte er die lästigen Gedanken verscheuchen. Dann sah er auf.
    »Hast du Geschwister, Joana?«
    Sie erstarrte. »Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich auf Spanisch.
    »Wie bitte?«
    »Ich weiß es nicht!«
    »Du weißt es nicht? Was soll das heißen?«
    Und da saß sie nun und erzählte einem praktisch Fremden von den Ereignissen, Sorgen und Nöten, die sie in den letzten zwei Jahren beschäftigt hatten: von Carmens Verschwinden, ihren Ohnmachtsgefühlen, der Angst vor der Gewissheit, Carmens Tod eines Tages bestätigt zu finden, den falschen Hinweisen, welche die Hoffnung aber immer wieder zum Sieden brachten. Ja, sie berichtete ihm sogar von ihrem Nervenzusammenbruch und dem

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