Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
Copacabana ebenfalls an geschwungenen Stränden endeten. Vor dem Peñon Almuñécars lagen zwei kleine Felsen, neben denen ein von Möwen umschwärmtes Fischerboot sein Netz hinter sich herschleppte. Etwa zwei Seemeilen hinter dem Peñon ragte eine Landzunge ins Meer, an deren Fuß ein Sporthafen lag. Der Leuchtturm auf dieser Anhöhe wartete auf den Sonnenuntergang, um die ersten Lichtzeichen über das Meer zu senden und die Abendsonne tauchte die weißen, verschachtelten Häuser, die sich von der maurischen Festung im Süden bis zu einer Kirche im Norden einen Hügel hinaufzogen, in pastellfarbenes Licht.
Xaver holte seine Kamera aus der Tasche und hielt diesen Eindruck fest. Hinter der Kirche fiel die Altstadt zur Hauptstraße ab. Jenseits davon beschränkte sich die Besiedlung auf kleine Dörfer und vereinzelte Fincas, die sich nördlich der Ausläufer der Sierra Nevada hochzogen. Vom Balkon aus konnte er den laut Reiseführer mit 3482 Metern höchsten Berg der Iberischen Halbinsel, den Mulhacén, zwar nicht sehen, aber von seiner Fahrt von Granada an die Küste wusste er, dass auf dessen Gipfel noch Schnee lag, der nun allmählich unter der Frühlingssonne schmolz. Zumindest wenn man hier von der Terrasse hinabblickte, schien Almuñécar der malerischste Ort zu sein, den er bislang auf seiner Andalusienreise entdeckt hatte. Es drängte ihn, durch die engen Gassen zu schlendern und diesen »Sexi« Ort aus der Nähe kennenzulernen, aber er verspürte auch Hunger und wollte vorher noch eine Kleinigkeit essen. Xaver blickte auf seine Uhr. Kurz vor sieben. Zu früh für ein spanisches Abendessen. Er würde im Hotel ein Sandwich essen, sich ein wenig ausruhen und später in Almuñécar noch eine Tapa zu sich nehmen …
Ein Knall ertönte und Xaver beugte sich über die Balustrade. Unten beim Pool war eine Kellnerin damit beschäftigt, Scherben aufzusammeln. Aus einer Flasche, die am Rande des Pools entlangkullerte, tropfte Flüssigkeit in das Becken. Wirbel bildeten sich in dem Wasser wie ein Blutstrom.
Xaver dachte an die Begegnung vor dem Krankenhaus zurück. Inmaculada … In Cádiz hatte er eine Kellnerin getroffen, die den gleichen Namen trug, und sie hatte ihm auch verraten, was dieser Name bedeutete; obschon dieser, wie Xaver jetzt dachte, ganz und gar nicht zu ihrem Erscheinungsbild hatte passen wollen.
Inmaculada – die Unbefleckte.
2
I nmaculada sah dem Mietwagen nach, der sich rasch entfernte. »Wer war das denn?«, wollte Paco wissen.
»Ein junger Deutscher«, antwortete sie und wischte sich mit dem Ärmel die Augen trocken. »Er hat nach dem Weg zum ›Palace‹ gefragt.«
Paco nahm die Mütze ab und kratze sich an der Stirn. Inmaculada kannte die Geste – das tat er meistens, wenn er schlechte Nachrichten überbringen musste.
»Inmaculada …«, begann er zögerlich, aber sie nickte nur und erhob sich.
»Wieder nur falscher Alarm«, stellte sie fest.
Paco nickte. »Ja … leider. Unsere Kollegen in Madrid haben alles versucht, aber es hat sich noch keine Spur ergeben, die diesen Hinweis bestätigen könnte. Es tut mir leid, Inmaculada …« Der Polizist sah zu Boden. »Mari Lucia ist sich auch nicht mehr so sicher.«
Inmaculada dachte an die Schwägerin des Bürgermeisters, die sie nur flüchtig kannte: Mari Lucia hatte vor zwei Wochen in Madrid ein Mädchen gesehen, welches Carmen täuschend ähnlich sah. Angeblich erschrak das Mädchen bei ihrem Anblick und verschwand so schnell, wie sie aufgetaucht war. Sie »flüchtete«, hatte Mari Lucia sogar gegenüber der Guardia Civil behauptet. Die mussten diesem vagen Hinweis natürlich nachgehen, aber Inmaculada ahnte, dass es nichts einbringen konnte. Selbst vor drei Tagen – noch vor diesem dubiosen Anruf –, als ihre Hoffnung noch nicht erloschen war, hatte sie nicht daran geglaubt, dass sich ihre Tochter in Madrid auf der Flucht befand. Geschweige denn, dass sie sich seit zwei Jahren in der Hauptstadt vor ihrer Familie versteckte.
Die beiden Uniformierten verabschiedeten sich. Sie fuhren ohnehin beim Hotel vorbei und deuteten an, bei dieser Gelegenheit auch Joana über die aktuelle Lage zu informieren. Inmaculada war das sehr recht. Sie wollte mit ihrer Tochter nicht mehr darüber sprechen; diese Nachrichten sollten ihr besser die Polizisten überbringen.
Tränen traten in ihre Augen, als sie an ihre Tochter Joana dachte. Der einzige Mensch, der ihr noch geblieben war, und nun hatte sie vor ihr auch noch Geheimnisse. Nach der
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