Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
recherchiert. Er hat alle Kreditkartenbelege aufbewahrt und viele Fotos geschossen. Ich hab mir alles angesehen und …« Kilian schluckte.
»Und was ?«
»Da bin ich auf überraschende Dinge gestoßen. Vor allem bei den Fotos.« Er wandte sich ihr zu. »Welchen Eindruck hattest du von meinem Bruder, Joana?«
Joana zuckte mit den Schultern. »Ich habe kaum drei Minuten mit ihm gesprochen. Er war höflich und sprach gut Spanisch. Ich mag Touristen, die sich die Mühe machen, ein paar Brocken der jeweiligen Landessprache zu lernen, das zeugt von Respekt und Interesse.«
Kilian räusperte sich und nahm sich vor, sich so bald wie möglich einen Sprachführer zu besorgen. »Aber hattest du den Eindruck … also … kam Xaver dir homosexuell vor?«
Joana zog die Augenbrauen hoch. »War er es denn?«
»Nein … oder vielleicht. Er hat nie darüber gesprochen.« Kilian berichtete ihr von dem Dänen, mit dem sein Bruder ein paar Tage durch Andalusien gereist war, als wären sie in den Flitterwochen. Dabei fiel ihm sein ursprüngliches Vorhaben wieder ein und er bat Joana, eine Steckdose benutzen zu dürfen, um Xavers Handy aufzuladen.
»Was hältst du davon?«, fragte er sie schließlich und setzte sich wieder neben sie.
»Da dein Bruder auf dieser Reise offensichtlich jemanden kennengelernt hat – in welchem Verhältnis er auch immer zu ihm stand –, solltest du unbedingt mit der Guardia Civil sprechen. Die haben aber im Moment Wichtigeres zu tun, wie du weißt. Sie müssen meine Mutter finden.«
»Ja, aber was hältst du davon, dass ich das von meinem Bruder nicht wusste?«, beeilte er sich, das Thema wieder zu wechseln.
»Das finde ich ein wenig seltsam, vor allem in diesen Zeiten. Federico García Lorca, das war ein Poet aus dieser Provinz, ist im Spanischen Bürgerkrieg erschossen worden. Hauptsächlich deswegen, weil er homosexuell war. Aber heute ist das doch ganz normal. In Spanien zumindest. Vielleicht täuschst du dich auch und hast zu viel in diese Fotos hineininterpretiert.«
Kilian dachte nach. »Nur einmal hat Xaver so eine Andeutung gemacht.« Er nippte an seinen Kaffee und war sich darüber klar, dass das Gespräch eine Richtung nahm, die äußerst unangenehm für ihn werden konnte. Joana sah ihn schweigend an, also fuhr er fort: »Es war in einer Zeit … sagen wir einfach, ich hatte so meine Probleme mit Frauen, und ich habe mich ihm anvertraut und da sagte er nur: ›Versuch’s halt mal mit Männern!‹ Ich habe gelacht und er hat gelacht und dann war es wieder vergessen, aber jetzt – unter diesen Umständen …«
»Welche Probleme hattest du denn mit Frauen?«
Kilian wand sich. Darüber hatte er noch mit niemandem gesprochen, nicht einmal mit seiner Psychologin. »Ist nicht so wichtig, mein Bruder jedenfalls …«
»Siehst du und wieder habe ich recht!«, unterbrach sie ihn und klatschte sich auf die Oberschenkel.
»Mit was?«
»Mit den spannenden Dingen im Leben. Es ist einfacher, sie für sich zu behalten.«
Kilian ließ die Schultern hängen. »Ja, da ist was dran.« Was soll’s, dachte er. Jetzt hatte er sich ohnehin zu weit vorgewagt. Joana sah ihn herausfordernd an. Also gut. Kilian räusperte sich. »Ähm – es klappte halt eine Weile nicht so richtig mit den Frauen.«
»Sexuell?«
Na, das war direkt! Kilian senkte den Blick. »Hm … nein … ja auch … aber …«
Er trank seinen Kaffee aus und starrte auf den dunklen Esstisch mit den Familienporträts.
»Was machst du eigentlich beruflich?«, fragte sie ihn, gerade als er so viel Mut gesammelt hatte, um alle Schleusen in seine Vergangenheit zu öffnen. Kilian seufzte und berichtete ihr von dem Internetshop.
»Hast du das immer schon gemacht?«
»Nein, vorher war ich … vorher habe ich ganz was anderes gemacht.«
Joana verdrehte die Augen. »Muss man euch Deutschen denn immer alles aus der Nase ziehen?«
Kilian stellte seine Kaffeetasse ab und hoffte, dass Joana nicht sah, wie seine Hände zitterten. Warum sollte er es ihr noch weiter verschweigen? »Vorher war ich Priester«, sagte er leise, »oder zumindest knapp davor.«
Er wandte den Kopf und sah sie an. Joanas Kiefer war heruntergeklappt; sie musterte ihn, als hätte sie ihn gerade zum ersten Mal gesehen. » Priester? Das glaub ich dir nicht!«
»Es ist aber die Wahrheit. Ich habe das Priesterseminar in Passau besucht. Mir fehlte nur noch ein Jahr, doch dann, dann habe ich einen anderen Weg eingeschlagen. Aber das ist jetzt auch schon wieder ein paar Jahre
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