Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
eben alles überhaupt nicht zusammenpasst.«
Sie wandte den Blick von den Sternen und sah ihm in die Augen.
Kilian verstand. »Gut.«
Joanas Blick verlor sich wieder in den Sternen und Kilian legte seine Füße auf die Balustrade und begann zu erzählen.
»Xaver und ich sind in einem kleinen Ort in Niederbayern aufgewachsen. Der Ort heißt Riedhofen und hat sechshundert, vielleicht siebenhundert Einwohner – ist ja auch nicht so wichtig. Ein ziemliches Kaff also. Ich wuchs mit meinem Bruder auf einem Bauernhof auf und meinen Vater Leopold nannte man im Dorf nur den ›Streitbauern‹. Er war nicht besonders umgänglich und hatte ständig Ärger mit seinen Nachbarn wegen der Ackergrenzen und mit seinen beiden Brüdern focht er einen Erbschaftskrieg aus. Ein paarmal flogen die Fetzen am Sonntag nach der Kirche beim Frühschoppen.«
»Was ist ein Frühschoppen?«, unterbrach ihn Joana.
Kilian lächelte. Joana sprach zwar ausgezeichnet Deutsch, aber das konnte selbst sie nicht wissen. »Ein Frühschoppen ist eine Art Brunch der Landbevölkerung. Ein geselliges Beisammensein am späten Vormittag, meistens nach der Kirche, zum Weißwurstessen und Biertrinken.« Er wandte sich ihr zu. »Woher kannst du eigentlich so gut Deutsch? Nur von der Uni?«
»Durch Übung.«
»Gibt’s hier denn so viele Deutsche zum Üben?«
»Hier nicht, aber in Deutschland, wo ich mein Praktikum absolviert habe.«
»Tatsächlich? Wo denn?«
»Wollten wir nicht über dich sprechen? «
»Ich erzähl gleich weiter, lass mich raten: irgendwo im Norden, in Niedersachsen oder Hamburg?«
»Hamburg.«
»Und wie lange warst du dort?«
»Ein Semester Studentenaustausch. Und dann noch den Sommer über.«
»Aha, ›den Sommer über‹ hört sich nach Privatlehrer an …«
Joana nahm die Anregung nicht auf.
»Wo waren wir stehen geblieben?«, sagte sie unvermittelt. »Dein Vater war also nicht besonders beliebt?«
Kilian hatte den Faden verloren. Hatte sie einen deutschen Freund gehabt? Einen Hamburger? Oder hat sie ihn vielleicht sogar immer noch?
»Nein, ähm … mein Vater war – ich will nicht mehr schlecht über ihn sprechen, aber er war kein guter Vater. Wir mussten unsere ganze Kindheit auf dem Hof schuften und dabei konnten wir es ihm nie recht machen. Vor der Schule mussten wir in den Stall, die Kühe füttern und nach der Schule auf den Acker. Andere Bauernkinder waren ähnlich verpflichtet, nur wurden die nicht …« Er stockte.
»Sie wurden was nicht?«
»Sie wurden nicht von ihrem Vater wegen jeder Kleinigkeit verprügelt. Aber das ist jetzt lange her. Xaver hätte jedenfalls den Hof übernehmen sollen und ich, nun, ich nahm mir damals den Dorfpfarrer, der in der Schule auch mein Religionslehrer war, zur Vaterfigur. Ich war sein Ministrant, ein Ministrant ist ein Messdiener«, erklärte er Joana, weil er vermutete, dass sie dieses Wort nicht kannte.
»Die Stunden in der Kirche und die wenigen Ausflüge der katholischen Jugend waren damals meine schönste Zeit, vor allem deswegen, weil ich dann nicht auf dem Hof arbeiten musste. Mein Ersatzvater – du weißt schon wer – schlug mir schließlich vor, den Weg Gottes zu beschreiten, also Priester zu werden. Ohne viel zu überlegen, sagte ich Ja. Aber den wahren Grund, nämlich dass ich in der katholischen Kirche eigentlich nur Zuflucht vor meinem tyrannischen Vater suchte, den verriet ich ihm nicht.«
Joana legte ihre Füße neben Kilians auf die Balustrade und gab ihm mit einem Wink zu verstehen, dass er fortfahren solle.
»Dieser Pfarrer wurde mein Förderer. Als ich von der Hauptschule abging, wollte er mich in ein klösterliches Internat schicken, in dem ich das Abitur machen konnte, aber mein Vater sollte erst zustimmen. Der Pfarrer redete mit ihm und – ich konnte es erst gar nicht glauben – mein Vater willigte tatsächlich ein, unter der Voraussetzung, meine Ausbildung würde ihn nichts kosten. Also kam ich mit fünfzehn Jahren in dieses Internat: hundert Kilometer entfernt von Riedhofen, weit weg von meinem Vater und weit weg vom Bauernhof. Aber damit ließ ich auch meinen Bruder zurück, der jetzt umso härter arbeiten musste. Ich kam nur noch in den Ferien nach Hause und half mit. Der Pfarrer besuchte mich manchmal im Internat, um zu schauen, wie es mir dort erging. Die Ausbildung war hart und streng, aber ich kam gut durch. Für die Kosten kam der Pfarrer auf oder er zweigte dafür ein paar Spendengelder bei der Kirche ab, ich weiß es nicht genau, jedenfalls
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