Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
Almuñécar und nicht in New York. Wir haben es hier nicht oft mit Morden zu tun, ja, wir wissen noch nicht einmal, ob es welche waren, aber vielleicht ist dieser Bursche auch schlauer, als wir denken. Vielleicht hat er einen mit Morphium vollgespritzten Schokoriegel in die Reisetasche seines Bruders gesteckt, den dieser dann zufällig in seinem Hotelzimmer verspeiste. Vielleicht ging es zwischen den beiden um einen Erbstreit, von dem wir nichts wissen. Und vielleicht hat er sogar deiner Mutter etwas in den Kaffee getan, als du mit ihm bei …« Paco unterbrach sich und warf die Zigarette nach einem letzten, tiefen Zug aus dem Fenster. »Entschuldige bitte. Das ist alles sehr hypothetisch.«
Joana deutete mit dem Finger auf Kilian. »Habt ihr denn die Hülle eines Schokoriegels im Zimmer gefunden? Und wie in aller Welt sollte meine Mutter, nachdem sie am Nachmittag angeblich einen vergifteten Kaffee getrunken hat, dann um drei Uhr morgens noch mit dem Taxi ins Hotel gefahren sein? Das passt doch alles nicht.«
Paco hob abwehrend die Arme. Die Tür ging auf, der Teniente kam herein und teilte Joana seine Entscheidung mit. Joana wandte sich um. Kilian starrte auf das Fax aus Deutschland, als stünde darauf sein Todesurteil.
»Kilian«, sagte sie, doch er schien sie nicht zu hören. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter. »Kilian, sie sagen, du kannst gehen. Du musst aber vorerst deinen Pass abgeben und darfst das Land nicht verlassen.«
Kilian nickte und erhob sich. Schon wollte er an ihr vorbei, aber sie packte ihn am Arm. »Sieh mich an und sag mir, dass du nichts damit zu tun hast!«
Kilian sah auf. Sein trauriges Konterfei spiegelte sich in ihren Augen, die wie ein dunkler Gebirgssee glänzten.
»Mein Bruder wurde ermordet und deine Mutter auch. Warum das geschah, weiß ich nicht. Ich war es jedenfalls nicht, aber ich kann verstehen, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben willst, deshalb … leb wohl und pass auf dich auf!«
26
V ier Tage nach dem Tod ihrer Mutter kehrte Joana an ihren Arbeitsplatz zurück. Die Kollegen bemühten sich um Trost, sogar ihr Chef Carlos fand taktvolle Worte, obwohl er keine leichte Zeit durchmachte: Die Presse berichtete landesweit über die mysteriösen Todesfälle, was zur Folge hatte, dass die ersten Stornierungen für die bevorstehende Hauptsaison bereits eingetroffen waren. Außerdem schienen viele Mitarbeiter des Hotels über die Maßen damit beschäftigt, den Klatsch und die Spekulationen um die Todesfälle mit eigenen, fantasiereichen Aspekten auszuschmücken, um diese dann als letzten Stand der Ermittlungen zu präsentieren. Zwei Reinigungsfrauen und eine Küchengehilfin blieben der Arbeit fern, weil sie Angst hatten, als Nächstes vergiftet zu werden. Die Guardia Civil hingegen stand vor einem Dilemma. Wie die Untersuchung der Gewebeprobe des toxikologischen Instituts in Sevilla ergeben hatte, verstarb Inmaculada Ramos Ortiz so wie der junge Deutsche auch an einem Medikamentenmix. Zudem war eine tödliche Dosis an Morphinen in Inmaculadas Gewebeproben festgestellt worden, womit sich ein Zusammenhang der beiden Fälle kaum mehr wegdiskutieren ließ. Die Spurenauswertung im Labor in Madrid ergab nichts Relevantes. Die Hotelzimmer waren am Tag vor dem Auffinden der Leichen vom Reinigungspersonal sauber gemacht worden. Dass sich aber trotzdem fremde Haare und Fingerabdrücke in Zimmer und Bad fanden, welche von jedem beliebigen Gast hätten stammen können, war kein Wunder: So steril wurden die Räume nun auch wieder nicht gereinigt. Die Guardia Civil verstärkte die Unruhe und das drohende Chaos im Hotel, weil sie durch ihre immerwährenden und neuerlichen Befragungen das Personal von der Arbeit abhielt. Offenbar um Panik zu vermeiden, versuchten die Behörden jedoch abzuwiegeln und sprachen bei beiden Todesfällen vorerst von einem Suizid, der zufällig identisch ausgeführt worden war. Doch daran wollte außer dem Staatsanwalt, der aufgrund mangelnder Indizien noch immer keine offizielle Mordermittlung einleitete, niemand ernsthaft glauben.
Joana hatte die Tage vor ihrer Rückkehr ins »Palace« allein zu Hause verbracht. Sie aß kaum, versuchte mithilfe von Tabletten Schlaf zu finden, nur um nicht nachdenken zu müssen. Ansonsten weinte sie die meiste Zeit um ihre Mutter. Der einzige Gedanke, der ihr ein wenig Trost spendete, war, dass ihre Mama nun nicht mehr wegen des Rätsels um Carmen würde leiden müssen. Joana sprach zweimal täglich mit Paco von der
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