Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
vergingen die fünf Jahre und ich kam schließlich nach Passau in das Priesterseminar, wo meine Ausbildung zum Geistlichen begann. Als ich gerade drei Monate dabei war, erfuhr ich, dass mein Bruder den Hof verlassen hatte und nach München gezogen war.«
»Meinst du, das hatte etwas mit seiner Homosexualität zu tun?«, fragte Joana.
»Jetzt im Nachhinein … schätze schon. Aber sicher lag es auch daran, dass er mit unserem Vater nicht klarkam.« Er erzählte Joana, wie sein Vater Xaver wie einen tollwütigen Hund mit der Mistgabel vom Hof gejagt hatte. »Drei Jahre später starb mein Vater an einem Herzinfarkt und Xaver kam nicht einmal zur Beerdigung.«
»Was war mit eurer Mutter?«
»Nun, unsere Mutter war, seit Xaver den Hof verlassen hatte, sehr krank geworden. Als mein Vater starb, musste sich jemand um sie und den Hof kümmern. Die Frage war nur, wer? Ich war kurz davor, Priester zu werden, und mein Bruder hatte seine Lehre abgeschlossen und arbeitete in einer Bank. Keiner von uns wollte zurück, aber einer musste es tun.«
»Und das warst dann du?«
»Ja, das war ich. Ich erklärte mein Problem im Seminar und man beschloss, dass ich die Ausbildung für ein Jahr unterbrechen dürfte. Zurück in Riedhofen hat mich dann die Dorfgemeinschaft angefeindet. Sie gaben mir und meinem Bruder die Schuld am Tod unseres Vaters – den sie eigentlich nie hatten leiden können – und sogar am Krebs unserer Mutter. Der Pfarrer war mittlerweile verstorben und so war ich auf mich alleingestellt. Alte Freunde von mir waren ebenfalls weggezogen oder wollten nichts mehr von mir wissen. Meine Mutter wurde immer schwächer und schwächer und am Ende konnte sie das Bett nicht mehr verlassen. Ins Krankenhaus wollte sie aber auch nicht und eine Chemotherapie lehnte sie strikt ab. Anfangs versuchte ich, mich um alles zu kümmern, aber ich schaffte es nicht. Damals dachte ich noch, Gott würde mir schon die nötige Kraft geben, aber …« Er schüttelte den Kopf. »Also stellte ich eine junge Magd ein, die sich um meine Mutter und um den Haushalt kümmern sollte, während ich zusammen mit einem Knecht den Hof bewirtschaftete. Diese Magd machte ihre Arbeit gut und sie war … hübsch … sie wollte sich auch um mich näher kümmern. Na ja, du kannst dir sicher vorstellen, wie sich die Dinge dann entwickelten. Aber es durfte nicht sein. Ich wollte immer noch Priester werden. Und um nicht auf verbotene Gedanken zu kommen, warf ich die Magd eines Tages raus.«
Joana zog die Stirn kraus. »Und wo war dein Bruder die ganze Zeit?«
»In München. Es genügte, wenn einer sein Leben für den Bauernhof opferte. Joana, in jenen Tagen habe ich zum ersten Mal an meinem Glauben gezweifelt. Meine Mutter siechte dahin und die Ärzte konnten ihr nicht mehr helfen. Sie wollte es auch nicht. Sie wollte nur noch sterben und das sagte sie mir auch jeden Tag: ›Kilian, lass mich sterben. Bitte!‹«
Er ging ins Zimmer und holte sich eine Flasche Bier aus der Minibar. Dann hielt er Joana die Flasche hin und sie nahm einen Schluck. »Der Arzt, der jeden zweiten Tag vorbeikam, sagte, meine Mutter hätte nur noch Wochen, höchstens Monate zu leben. Eine Chemotherapie würde den Tod nur hinauszögern und sie wäre dafür schon zu schwach. Also verschrieb er großzügige Rationen an Tabletten und Morphium.« Kilian trank einen Schluck Bier und starrte an Joana vorbei auf das im Mondlicht glitzernde Mittelmeer.
»Und den Rest kannst du dir wohl schon denken. In dieser einen Nacht waren ihre Schmerzen besonders stark und ich war gerade dabei, ihr die Medikamente zu verabreichen. Da sah sie mich an – einer ihrer wenigen klaren Momente –, griff mit ihrer knochigen Hand nach meiner und flehte mich an, und ich … ich schüttelte den Kopf. ›Ich kann das nicht, Mama‹, sagte ich zu ihr. Aber sie zog mich zu sich heran, sie konnte kaum noch sprechen, und ich hielt mein Ohr an ihren Mund: ›Es ist Gottes Wille und du bist doch Gottes Diener, mein Sohn. Erlöse mich!‹«
Mehr zu sich als zu Joana sagte er: »Und dann tat ich es. Ich gab ihr alles auf einmal. Und dann hielt ich ihre Hand, bis es vorbei war.«
Joana putzte sich die Nase, rutschte mit dem Stuhl neben seinen und legte ihm den Arm um die Schultern. »Du hast nichts Schlechtes getan, Kilian, und ich muss mich bei dir für meinen kleinen Ausrutscher entschuldigen.« Lächelnd hob sie die Hand, mit der sie ihm die Ohrfeige verpasst hatte.
»Immerhin habe ich meine Mutter getötet
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