Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Kloster, in dem er Schwester Dorothy getroffen hatte.
Schwester Pauline erklärte ihm, dass Camberwell früher das größte Wohnheim des Ordens in London war, das allen Unterkunft und Hilfe bot, sofern sie weiblich waren. Vor Jahren hatte man das Gebäude zu Sozialwohnungen umgebaut und nur einen Teil des Erdgeschosses für den Orden behalten. Anselm war ja schon einmal dort.
Er konnte sich Elizabeth’ Reise nach Norden vorstellen, weit weg von der Großstadt, aber irgendetwas fehlte. »Wenn sie über das Wohnheim nach Carlisle gekommen ist, ohne elterliche Einwilligung, dann müsste es doch einen Gerichtsbeschluss geben … ein rechtskräftiges Dokument, das ihren Status und den der Schule definiert. Sind Sie sicher, dass sonst nichts in der Akte ist?«
»Absolut sicher.«
Das hieß, es war entweder vernichtet worden oder hatte nie existiert, schloss er.
Anselm bedankte sich bei Schwester Pauline und legte auf.
In seinen Gedanken fügte sich alles fein säuberlich zusammen: Wenn es keine gerichtliche Verfügung gegeben hatte, musste Elizabeth mit Einwilligung ihrer Eltern auf die Schule gekommen sein, also von Mr. und Mrs. Steadman. Wieso stand dann ihre Adresse nicht in den Akten? Und wieso war als Elizabeth’ Heimatadresse das Heim angegeben? Die einzige Person, die das wusste, war Schwester Dorothy, und ihr würde Anselm einen weiteren freundschaftlichen Besuch abstatten, beschloss er – nur würden sie dieses Mal über mehr reden als über die Leute auf einem Foto.
Die Tür des Kalfaktoriums flog auf und knallte gegen die Wand. Anselm sträubten sich die Nackenhaare – eine durchaus alltägliche Erfahrung im Klosterleben, wo ständig Empfindlichkeiten aufeinanderprallten, besonders in Kleinigkeiten wie der Art, eine Tür zu öffnen. Bruder Cyril stand da wie ein einarmiger Bandit.
»Endlich«, sagte der Cellerar. »Ich habe dich überall gesucht.«
»Tut mir leid.« Das war ein weiterer Aspekt des Lebens in der Kutte. Bei manchen Leuten musste man sich entschuldigen, obwohl man nichts falsch gemacht hatte. Da Anselm Cyrils Anliegen ahnte, sagte er: »Ich habe dir das ganze Geld, das ich nicht ausgegeben habe, mitsamt Quittungen in dein Fach gelegt.«
»Ich weiß«, fuhr Cyril ihn an. »Deswegen bin ich nicht hier.«
Anselm stellte sich auf eine flammende Rede über die Theologie der internen Buchprüfung ein. »Sprich weiter«, sagte er vorsichtig.
»Ich habe herausgekriegt, was dieser Riley treibt.« Cyril schwang stolz seinen einzigen Arm.
»Schon?«, fragte Anselm verwundert.
»Ja.«
»Das solltest du besser Inspector Cartwright sagen.«
»Das habe ich schon. Sie kommt morgen Nachmittag her.«
Anselm stand auf und war in Gedanken schon bei allem, was jetzt zu erledigen war. Er musste es George sagen; und instinktiv wusste er, dass jetzt der Moment gekommen war, Nicholas ausführlicher in die Aktivitäten seiner Mutter einzuweihen.
»Soll ich dir den Trick jetzt erklären?«, fragte Cyril ungeduldig.
»Nein, ich warte lieber, vielen Dank.«
»Pah!«
Anselm rannte beinahe den Pfad hinunter, der zu einer schmalen Brücke über den Lark führte. Der klare Himmel strahlte metallisch – wie er es sicher auch über Marble Arch oder King’s Cross tat. Anselm ahnte, dass er wieder auf diese wimmelnden Straßen zurück musste, aber erst einmal wollte er allein sein, in den Wald gehen und zwischen Eicheln und Kastanien beten.
8
»NANCY, BIST DU es wirklich?«
Es war Babycham. Sie hatte sich nicht verändert. Na ja, schon, durch die Haarverlängerung und den Pelzmantel. Und sie hatte falsche Wimpern. Die zehn Jahre sah man ihr auch an. Die rosigen Wangen hingen ein bisschen, und der Puder sah nach blauen Flecken aus; vielleicht lag es aber auch nur an der Kälte.
»Es ist ja eine Ewigkeit her …« Der Wind zauselte magische Pfade wie Kornkreise in den Pelz. Er war echt. Das sah man.
Nancy war gerade aus dem Bus gestiegen. Dieses Mal war sie Richtung Osten nach West Harn gefahren, voller Hoffnung, Mr. Johnson zu finden. Sie hatte neben dem Halteknopf gesessen und nach jedem unsicheren Gang in dem Strom von Jacken und Kinderwagen Ausschau gehalten; sie hatte auf einer Bank an einem Zeitungskiosk und in einem zusammengesackten Haufen vor Currys nachgeschaut. Er war blind. Allzu weit konnte er nicht gegangen sein. Sie war ausgestiegen, um sich ein paar Bonbons zu kaufen, als diese Stimme sie herumfahren ließ.
Nervös stellte Babycham fest: »Schöner Hut.«
Riley hatte ihn bei einer
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