Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)
andere Idee. Einer verschrieb ihm Bettstiefel aus Hartplastik, die den Fuß über Nacht strecken sollten. Sie waren so kalt, dass die Mutter sie in heißes Wasser legte, bevor sie Thorsten die Stiefel bis zum Knie hoch schnürte. Ein anderer kam auf die Idee mit dem »Tunnel«, ein Drahtgestell, das die Bettdecke auf Abstand hielt. Seine Überlegung war, dass die Füße durch ihr Auflagegewicht weiter verkrümmt würden. Die Mutter konnte es nur drei Wochen mit ansehen. Ohnehin fror der Junge, weil er sich wenig bewegte, und so konnte er sich nicht mal in eine Decke kuscheln.
Als Thorsten acht war, schlug ein Orthopäde an einer Uniklinik vor, die Sehnen der Beugemuskeln zu durchtrennen, damit sie die Füße nicht noch weiter verformten. Nach der Operation trug er Gipse, und in ihnen sahen seine Füße ganz normal aus. Er freute sich, glaubte, es wäre die Rettung, und träumte schon vom Fußballspielen. Doch als die Gipse abkamen, schnurrten die Füße in die alte Fehlstellung zusammen.
Die Füße tragen den Menschen durchschnittlich 120000 Kilometer weit im Leben, also fast dreimal um die Erde. Pro Tag sind sie etwa 1000 Tonnen Belastung ausgesetzt. Ein Fuß besteht aus 26 Knochen und 33 Gelenken, zwischen ihnen spannen sich mehr als 100 Muskeln, Sehnen und Bänder.
Füße sind also mindestens so komplex aufgebaut wie Hände, müssen mehr aushalten und stehen doch im Rang weit hinter ihnen. Vielleicht liegt das auch daran, dass die Menschen sie seit gut 40000 Jahren mit Tierfellen oder später Schuhen umhüllen. Sie verstecken ihre Füße vor der Welt.
Um Menschen an den Händen zu operieren, muss ein Arzt die dreijährige Zusatzausbildung »Handchirurgie« absolvieren, große Universitätskliniken verfügen über eigene Abteilungen für dieses Fachgebiet. »Fußchirurg« hingegen ist keine geschützte Bezeichnung, bis ins Jahr 2013 hinein gab es nicht einmal einen Eintrag im deutschen Wikipedia. Dabei sollen Fußprobleme neben Zahnschmerzen und Erkältungen zu den häufigsten Beschwerden der Menschen zählen – so die »Gesellschaft für Fußchirurgie e.V.« auf ihrer Website. Die Ärzte, die dort gelistet sind, scheinen jedoch nur die harmloseren Krankheiten im Visier zu haben – eingewachsene Zehennägel etwa oder den berüchtigten »Hallux valgus«, Schiefstand der großen Zehe, oft Folge exzessiven Stöckelschuhtragens.
Jedes tausendste Kind aber wird mit schweren Missbildungen der Füße geboren – mit Klumpfüßen. Meist sind die Füße nach innen verdreht, die Unterschenkelmuskulatur ist zu schwach ausgebildet. Viel häufiger sind die »erworbenen Formen« des Klumpfußes, die erst später im Leben infolge verschiedenster Erkrankungen auftreten – multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Schlaganfälle und Schädel-Hirn-Verletzungen können die Ursache sein, aber auch erbliche Nerven- und Muskelerkrankungen, die in der Kindheit beginnen.
Das Stigma des Klumpfußes weist weit zurück in die Menschheitsgeschichte. Der griechische Gott des Feuers und der Schmiedekunst Hephaistos, gezeugt von Zeus und Hera, kam klein und hässlich auf die Welt. Je nach Legende schleuderten ihn Mutter oder Vater vom Olymp, seither war er lahm und hatte beidseitig Klumpfüße. Woher der Teufel seinen Pferdefuß hat, ist nicht geklärt, jedoch steckt im medizinischen Begriff für den Klumpfuß, Pes equinovarus, die Silbe equinus, »zum Pferd gehörend«. Der Wortteil weist auf die fast immer vorhandene Spitzfußkomponente des Klumpfußes hin – manchmal können die Betroffenen nur auf den Zehen gehen. Im Extremfall sind die Zehen auf die Fußunterseite gebogen, so dass die Patienten buchstäblich auf den Zehennägeln gehen – also auf dem Horn, aus dem sich beim Pferd die Hufe gebildet haben.
Mitte der achtziger Jahre eroberte der Homecomputer Commodore C64 die deutschen Haushalte. Jungs mit dicken Brillen und Schlabber-T-Shirts gründeten Clubs und verbrachten ihre Nächte in Kellern vor flimmernden Blau-Weiß-Bildschirmen. Thorstens Mutter fand sie seltsam, sie wollte aber, dass ihr Sohn neue Hobbys für sich entdeckte und nicht mehr Träumen nachhing, die für ihn unerreichbar waren. Sie schenkte ihm einen C64. Der Erfolg war durchschlagend. Bald tippte er komplexe Quellcodes aus Fachzeitschriften Buchstabe für Buchstabe, Ziffer für Ziffer ab und freute sich, wenn am Ende ein einfaches Computerspiel dabei herauskam.
Sie kaufte ihm das teuerste Fahrrad im Laden, zehn Gänge, extra leicht. Er lieferte
Weitere Kostenlose Bücher