Patient Null
und die beiden machten sich auf den Weg. Zuerst blickten sie sich allerdings noch einmal um, als ob das Ganze eine persönliche Attacke gegen sie gewesen wäre. Ich beobachtete sie. Ich hatte Leute schon falsch eingeschätzt – wenn auch nicht oft. Aber diesmal konnte ich mir nicht vorstellen, dass einer von ihnen zuerst die Sicherheitsvorkehrungen umgangen und dann Raum zwölf aufgemacht hatte, um mir dann unbewaffnet zur Seite zu eilen. Trotzdem wollte ich sie Tag und Nacht im Auge behalten. Von jetzt an wusste ich, dass ich niemandem, der für DMS arbeitete, trauen konnte – außer Rudy natürlich. Aber Rudy hätte es sowieso nicht einmal fertig gebracht, das Sicherheitsschloss einer Wohnung aufzubrechen – geschweige denn etwas so Ausgeklügeltes wie hier zu überwinden.
Ich ging zu Grace Courtland und Church zurück. »Mr. Church«, erklärte ich, »bisher hat es Ihre Organisation, ehrlich gesagt, nicht geschafft, mich zu überzeugen.«
Er antwortete nicht.
Dietrich trat wieder zu uns. »Das Dock ist geräumt, Sir. Das Gebäude ist komplett abgeriegelt. Die Tore sind geschlossen, und ich habe die Sicherheitskräfte in Paare aufgeteilt. Keiner bewegt sich außerhalb der Sichtweite seines Partners. Wir sind noch damit beschäftigt, die anderen in ihre Zimmer einzuschließen.« Er hielt einen Moment lang
inne und sah sich besorgt um. »Sir, ich habe die Wachen persönlich überprüft – noch vor zehn Minuten. Außerdem kenne ich sie.« Wieder eine Pause. Dann verbesserte er sich mit Trauer in der Stimme: »Ich habe sie gekannt.«
»Jemand hat die Tür geöffnet«, sagte ich und zeigte auf Raum zwölf. »Oder können Sie Hinweise auf einen Einbruch sehen?«
»Man sollte nie voreilig zu einer Schlussfolgerung kommen, ohne alle Informationen zur Verfügung zu haben«, meinte Church. »Die Videoaufnahmen werden auf meinen Laptop gestreamt. Treffen wir uns im Konferenzraum, um sie uns anzuschauen. Bis dahin will ich keinen weiteren Ton hören.«
Die anderen wandten sich zum Gehen, aber ich blieb bei Church stehen. »Da schafft es das DMS endlich, einen Gefangenen sicherzustellen, und dann das hier? Komisch, finden Sie nicht?«
»Ja, zum Totlachen.«
Er ging, und ich folgte ihm.
54
Amirah / Im Bunker Dienstag, 30. Juni
Abdul, der Leutnant des Kämpfers, war ein grimmig dreinblickender Mann, dem jeglicher Humor fehlte. Seine pockennarbige Haut erinnerte an die Mondoberfläche. Während einiger Überfälle, die von einem iranischen Ajatollah finanziert worden waren, lernten sich der Kämpfer und er kennen. Gemeinsam jagten sie drei Polizeireviere in die Luft, töteten zwei Mitglieder der neuen Regierung und verstümmelten und ermordeten Dutzende amerikanischer und britischer Soldaten mit selbst gebauten Sprengbomben. Das alles geschah kurz nach der sogenannten Befreiung
Bagdads. Seitdem hatten sie gemeinsam weiteres Blut in fünf Ländern vergossen, und das Kopfgeld, das auf Abdul ausgesetzt war, glich dem für El Mudschahid.
Jetzt war es Abduls Aufgabe, dafür zu sorgen, El Mudschahids Abwesenheit geheim zu halten. Sein Plan lautete, mit den Überfällen fortzufahren. Dazu gehörten auch zwei entlegene Ortschaften, die mit dem Seif-al-Din -Pathogen infiziert werden sollten. Natürlich hinterließ er auch dort eine Videokassette oder eine CD-ROM mit vorher aufgenommenen Nachrichten von El Mudschahid. Es war alles perfekt geplant. Die Nachrichten enthielten Details von aktuellen Vorkommnissen, über die man sich zuvor beraten hatte und auf die Abdul jetzt peinlich genau achtete. Es war von absoluter Priorität, dass niemand Verdacht schöpfte.
Am Morgen der »Rettung« El Mudschahids durch britische Truppen suchte Abdul Amirah im Bunker auf. Zuerst hatte er sich allerdings vergewissert, dass Sebastian Gault nicht da war. Nun saßen sie in ihrem Arbeitszimmer – er in einem Ledersessel und sie auf der Kante eines kleinen Sofas, das unter dem Gewicht medizinischer Gutachten und Autopsieberichte fast ächzte.
Abdul hielt eine Flasche Wasser in der Hand und nickte in Richtung der Papiere. »Steht da alles über den neuen Erregerstamm drin?«
»Es sind die Testresultate – ja«, antwortete sie und nickte. Sie sah sehr müde aus, die Augen rot umrandet.
»Hat er sich danach erkundigt?« Abdul nahm Gaults Namen nie in den Mund. Er hasste den Mann und war der Überzeugung, dass allein die Aussprache des Namens Allah erzürnte und El Mudschahid beleidigte. Gault und sein Assistent, dieser Männer liebende
Weitere Kostenlose Bücher