Patient Null
umbringen lassen?«
Amirah blinzelte – erst einmal, dann ein zweites Mal. »Sebastian töten?« Sie brach in schallendes Gelächter aus, als ob alles ein gewaltiger Witz wäre. Dann hielt sie die Hand vor den Mund, um ihr Lachen zu unterdrücken. »Ist er allein?«
»Er hat seinen Assistenten bei sich. Und einen Fahrer.«
»Gut. Sollen sie nur kommen.«
»Sie sollen kommen? Hierher?«, wiederholte Abdul ungläubig. »Amirah … Er hat Lunte gerochen! Er weiß, welches Spiel wir spielen. Er kommt, um den Bunker zu schließen!«
»Den Bunker schließen?« Erneut lachte sie laut auf.
Abdul starrte sie an. Er bemerkte, dass Amirahs Augen glasig schimmerten. Sie sah so aus, als ob sie Drogen genommen
hätte. Oder schlimmer noch, betrunken! Aber das war unmöglich.
»Er darf auf keinen Fall hierherkommen. Vor allem nicht jetzt, da er weiß, was wir hinter seinem Rücken machen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wie lange noch, ehe er eintrifft?«
»Etwa eine halbe Stunde.«
»Dann trommle die Leute zusammen, Abdul. Sie sollen sich in der Kantine versammeln.«
»Warum?«, wollte er wissen. Für einen Augenblick wich der träumerische Ausdruck aus Amirahs Gesicht und machte etwas anderem Platz. Etwas Kaltes, Reptilienartiges starrte ihn auf einmal durch ihre wunderschönen Augen an. Abdul wich einen Schritt zurück.
Amirah schürzte die Lippen und wandte sich dann wieder dem gläsernen Käfig und ihren vier Monstern zu, die sie geschaffen hatte. Die Kreaturen schlugen gegen die Wände aus Panzerglas, die Augen dunkel und leblos wie schwarze Sterne.
»Was ist, Abdul? Ein Befehl ist ein Befehl«, sagte sie, ohne ihn noch einmal anzublicken.
Er drehte sich wütend und gleichzeitig verzweifelt zur Tür um. Bevor er ging, sah er noch, wie Amirah die Handflächen auf das Panzerglas legte und sich dann vorbeugte, bis ihre Wange das Glas berührte. Auf der anderen Seite zerfleischten sich die Monster gegenseitig, um an sie zu gelangen.
Entsetzt verließ Abdul das Labor.
97
Liberty Bell Center Samstag, 4. Juli / 10:28 Uhr
Wir befanden uns mitten im Liberty Bell Center, das an der Market Street zwischen Fifth und Sixth Street im alten Teil Philadelphias liegt. Die Tatsache, dass unser altes Einsatzkommando in die Planung der Sicherheit eingebunden war, hatte mir die Gelegenheit gegeben, das Gebäude während der letzten sechs Monate genau kennenzulernen. Ich kannte sozusagen jeden Stein. Das neue Gebäude war die Hauptattraktion einer dreihundert Millionen teuren Renovierung der Independence Mall und seiner Umgebung. Allein das Center hatte dreizehn Millionen verschlungen und war im Jahr 2003 eröffnet worden. Es hatte eine Fläche von über 1200 Quadratmeter und bot dementsprechend viel Platz. Auf jeden Fall war es eine Adresse, die jeder Tourist aufsuchte. Die Glocke selbst stand in einer riesigen Glasvitrine, die wie eine Lupe funktionierte. So konnten sie die vielen Besucher – immerhin mehr als eine Million jedes Jahr – gut in Augenschein nehmen.
Irgendwie war es auch für mich beeindruckend, vor dieser Glocke zu stehen und zu wissen, was sie bedeutete. Ich wusste von einer Führung, die ich mitgemacht hatte, dass es sich bereits um die zweite Glocke handelte. Die erste war in der Whitechapel Foundry in England gegossen worden, war aber kurz nach ihrer Fertigstellung gerissen. Dann versuchten sich zwei Handwerker namens Pass und Stow an einer Mischung aus Kupfer, Zinn, etwas Blei, Zink, Arsen, Gold und Silber, aber auch ihr Versuch entwickelte Risse. Dieser zweite Versuch war trotzdem die Glocke, die jetzt vor mir stand. Die Namen Pass und Stow waren darauf verewigt. Rudy beugte sich vor und las den Rest der Inschrift: »Verkünde Freiheit im ganzen Lande für alle seine Bewohner – Lev. XXV, v.x. auf Anordnung der Versammlung der Provinz Pennsylvania für das Staatsgebäude in Philada.«
»He, die haben Philadelphia falsch geschrieben«, meinte Skip.
Ich schüttelte den Kopf. »Die hatten damals verschiedene Versionen – und Philada gehörte dazu.«
»Das Ding ist ja kaputt!«, meinte Bunny mit einem Grinsen.
Hinter der Vitrine befand sich eine große Bühne mit einem Vorhang in Form der amerikanischen Flagge. Auf der Bühne hing die neue Liberty Bell. Da sie zu speziellen Gelegenheiten geläutet werden sollte, war diese jedoch nicht hinter Glas verschlossen. Nur die Zeit würde zeigen, ob zumindest diese Glocke rissfest war.
Die Glocken symbolisierten das, wofür sich die DMS einsetzte und
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