Patient Null
Kurz nach dem 11. September wurde so gut wie alles, das eine Gruppe von Menschen anzog, abgesagt. Doch dann ging das Leben weiter, und es gab ja auch keine Angriffe mehr. Wir wurden nachlässig. Vielleicht hatten wir sogar geglaubt, dass wir trotz aller gegenteiligen Beweise al-Qaida geschlagen hatten. Möglicherweise nicht ganz geschlagen, aber genug außer Gefecht gesetzt, um uns in den Vereinigten Staaten wieder dem Alltag hingeben zu können.
Heute bezahlten wir den Preis für diese Nachlässigkeit. Wer hatte Schuld? Ich? Church? Oder hatte es etwas mit unserer Kultur zu tun? Wenn ich diesen Tag überleben sollte, wollte ich mir diese Fragen genauer durch den Kopf
gehen lassen. Doch im Augenblick befand ich mich mitten auf einem Schlachtfeld, und Sozialphilosophie half da nicht weiter. Ich machte mich also wieder auf den Weg.
Es gab immer noch keine Anzeichen für einen Backup. Doch ich konnte nicht länger warten. Ich schlich weiter und begann wieder jedes Schloss zu knacken und die Räume dahinter zu durchsuchen. Als ich das Licht einschalten wollte, stellte ich fest, dass es nicht funktionierte. Jemand musste die Sicherung ausgeschaltet haben. Das einzige Licht kam von dem dämmrigen Rot der Notlampen. Trotzdem blieb mir nichts anderes übrig, als jeden Raum und jede Abstellkammer zu überprüfen, um auf keinen Fall die First Lady oder gar O’Brien zu übersehen. Immer wieder spürte ich bei meiner Suche einen Wärmepunkt zwischen meinen Augenbrauen – ganz so, als ob Ollie Brown den Laser auf mich gerichtet hatte und nur auf eine passende Gelegenheit wartete, mich zu töten.
Nach weiteren fünf Türen und Räumen vernahm ich ein schmatzendes Geräusch. Es kam aus einer Ecke hinter einer Reihe von Tischen. Ich horchte, und mir war sofort klar, was es war. Ich wollte es nicht sehen, aber ich wusste, dass mir nichts anderes übrigblieb. Also hielt ich meine.45er vor mich und schlich auf leisen Sohlen um die Tische.
Drei Wiedergänger knieten vor mir auf dem Boden. Sie hatten die Köpfe nach vorne gebeugt – wie Löwen, die sich um ein gerissene Zebra versammeln. Nur handelte es sich bei dem Zebra um einen Secret-Service-Agenten, und die Löwen waren Büroangestellte – zwei Frauen und ein Mann. Sie waren leger, wenn auch dem offiziellen Anlass gemäß gekleidet und hatten eine Liberty-Bell-Center-ID-Karte um den Hals hängen. Ihre Hände und Münder waren schwarz vor Blut.
Ich würgte. Es war nur ein Geräusch, und trotzdem rissen die drei die Köpfe herum. Eine der Frauen fauchte mich feindselig und zugleich gierig an.
Ich schoss ihr in den Kopf. Der Aufprall schleuderte sie zurück, und sie fiel über den toten Agenten.
Die beiden anderen richteten sich auf und warfen sich auf mich. Doch darauf hatte ich nur gewartet.
Zwei Schüsse. Zwei Tote.
Ich starrte auf die leblosen Körper und dann auf den toten Agenten. Sein Hals war zerfetzt. Würde er sich wiederbeleben oder war er bereits jenseits der Selbstheilungskräfte des Krankheitserregers? Vorsichtshalber drückte ihm die Pistole gegen die Schläfe. Gerade als ich abdrücken wollte, vernahm ich drei Geräusche gleichzeitig.
Hinter mir ertönte Top Sims’ Stimme, der meinen Namen rief. Zu meinen Füßen war ein Scharren zu hören; eine monströse Kraft hatte den ehemaligen Agenten wieder ins Leben zurückkatapultiert und ihn zu einem untoten Killer gemacht. Und vor mir vernahm ich einen Schrei der First Lady.
114
Gault und Amirah / Im Bunker
Gault wirbelte herum und richtete seine Pistole auf die Schatten hinter ihm. Fünf Umrisse füllten den schmalen Gang und kamen barfuß auf ihn zu geschlurft. Im blassen Schein der Bodenlampen wirkten ihre Gesichter unheimlich blass, obgleich die Augen und Münder schwarz wie die Sünde selbst waren.
Er erkannte eines der Monster: Es war Khalid, der Soldat, den Gault als einen der Ersten von El Mudschahids Männern bestochen hatte. Gault hatte ihn immer gemocht. Khalid war hart im Nehmen und doch erfinderisch gewesen. Jetzt sah er nur noch tot aus. Seine Haut hing leblos an seinem Schädel herab, und sein Mund war hässlich verzerrt vor Gier.
»Es tut mir so leid«, flüsterte Gault. Sein erster Schuss traf Khalid in der Schulter, und der Wiedergänger drehte sich um die eigene Achse, so dass er einen zweiten Zombie mit sich riss. Hätte Gault die Szene in einem Film gesehen, hätte er laut gelacht und es als unsinnigen Klamauk abgetan. Doch das hier war kein Zombie-Film, keine düstere Fantasie.
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